„Das echte Leben ist so schludrig, so voller Zufälle. Ständig passieren völlig willkürliche Dinge, die mit nichts etwas zu tun haben.“
Diese zwei Sätze beschreiben ‚Der letzte Sessellift‘, der wohl Irvings letzter ‚großer‘ Roman bleiben wird, recht gut. Die Handlung ist da fast nebensächlich, es ist - wie so häufig bei ihm - die Lebens- und Familiengeschichte eines männlichen amerikanischen Protagonisten. Dieses mal heißt er Adam Brewster, Schriftsteller und Drehbuchautor aus Vermont. Wer da schon Ähnlichkeiten zu Irving selbst sieht, liegt ganz richtig, aber es ist ja auch kein Geheimnis, dass viele seiner Geschichten immer wieder autobiografische Einschübe haben. Allerdings - und auch das kennt man ja nur zu gut - überzeichnet und überspitzt teilweise fast bis zur Satire. In einem Artikel über das Buch habe ich gelesen, dass Irving in diesem Buch wichtige Themen anspricht, sie literarisch aber nicht mehr vermitteln kann, weil sein Schreiben überholt sei. Ok, das ist ein bisschen so, als würde man den Rolling Stones vorwerfen, wie die Rolling Stones zu klingen. Für mich hat ‚Der letzte Sessellift‘ eher etwas von einem Konvolut von Irvings Werk, eine Zusammenfassung der Themen, die den Autor (und damit auch seine Leser) zeitlebens beschäftigt haben, verfasst in seinem einzigartigen Stil - und warum sollte er den ausgerechnet in seinem letzten Werk ändern? Dieser Roman ist skurril, fast bis zu Groteske, manchmal feinsinnig, manchmal vulgär, melancholisch, zynisch, politisch, liebevoll … eben die ganze Bandbreite eines Lebens. Und ja, wir finden auch all die Motive, die wir von Irving so gut kennen - eine unkonventionelle Familie, eine intensive Mutter-Sohn-Beziehung, die Suche nach sexueller Identität, gewaltsamer Tod und der Umgang mit Trauer und Verlust, Österreich und das Ringen … nur die Bären, die fehlen diesmal. Würde ich diesen Roman jemandem empfehlen, der John Irving noch nicht kennt? Nein, definitiv nicht. ‚Der letzte Sessellift‘ ist ein Buch für Irving-Kenner, ein Heimkommen zu seinen Themen, seiner Art zu schreiben, weniger ein Alterswerk als ein Abschiedsgeschenk eines der größten Autoren seiner Zeit an seine Leser. Jemand der ihn und seinen Stil nicht mag, wird ihn auch nach diesem Buch nicht mögen. Aber wer ihn so sehr schätzt wie ich, für den wird nicht eine einzige der 1081 Seiten in diesem Buch zu viel sein.