1. Mai 2025
Bewertung:5

Puh, das war schwere Kost. Erst nach dem Beenden des Buches fand ich heraus, dass der Autor Dennis Lehane auch „Shutter Island“ geschrieben hatte. Und wer das Buch oder den Film kennt, weiß, dass es den Leser nicht sonderlich schont. So auch nicht hier.   Gleich vorweg, es wird bereits zu Beginn des Buches darauf hingewiesen, dass die Sprache nicht den heutigen Konventionen entspricht. Dies liegt auch schlichtweg am Thema: Die Handlung spielt in den 70er Jahren und noch immer fand eine Rassentrennung bzw. Segregation statt. Das bedeutet, dass es Schulen für unterschiedliche definierte Menschengruppen gab, in den Stadtteilen ebenfalls strikt getrennt wurde und auch im Berufsleben es mitunter bewusst nur wenig Berührungspunkte gab. Dazu kam offensiv gelebter Rassismus gegenüber Menschen, deren Vorfahren überwiegend nicht aus Europa waren.   Ein Hinweis von meiner Seite: Ich habe, bevor ich den Beitrag geschrieben habe, ziemlich lange recherchiert, welchen Ausdruck ich verwenden darf. Im Buch wird von „Schwarzen“ und „Weißen“ gesprochen. Es gibt den Ausdruck Bi_PoC, jedoch passt dieser in meinen Augen in diesen Zusammenhang nicht, weil der Fokus vor allem auf eine explizite Gruppe in diesem Buch gelegt wird, was das Thema Diskriminierung und Rassismus angeht. Daher werde ich den Begriff „Schwarze“ übernehmen, möchte damit keinen angreifen, sondern versuche sauber die Gruppe zu beschreiben, die in dem Buch gemeint ist.   Die Geschichte setzt ein, als es zu massiven politischen Spannungen kommt, weil entschieden wurde, das schwarze Kinder auf Schule mit weißen Kindern sollen und umgekehrt. Mary Pat Fennessys, stolze Irin, alleinerziehend in Southie (South Boston) verliert zunächst ihren ersten Sohn an Drogen und muss erleben, wie eines Tages ihre Tochter Jules nicht wiederkommt. Und statt Unterstützung bei der Suche zu erhalten, wird abgewiegelt, kommt es zu Schuldzuweisungen und Unverständnis. Daher entscheidet sich Mary Pat, selbst nach ihrer Tochter zu suchen.   Das Buch ist hart, sehr hart. Ich selbst hadere ja häufig mit amerikanischen Settings, doch in diesem Buch war es für mich anders. Es gab viele verschiedene Themen: So erleben wir den Kreislauf aus Armut, Bildungsferne und strukturellem Rassismus. Teilweise bewusst, aber mitunter auch unbewusst gelebt, „Das haben wir schon immer so gemacht“ ist dabei ein wichtiges Mantra, wenn es um die Trennung nach Ethnien oder Hautfarben geht oder um die Bewertung eines Menschenlebens. Gewalt steht an der Tagesordnung und wird als legitim angesehen. Sowohl in der Familie als auch auf der Straße. Es ist trostlos, man möchte verzweifeln und fragt sich, wie dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann. Denn indem ich mich über andere moralisch erhebe, werte ich mich selbst auf – und wer möchte freiwillig zugeben, dass man selbst vielleicht doch gar nicht besser als der Gegenüber ist?   Mary Pat lernt auf harte Weise, dass Grenzen, die sie selbst in der Vergangenheit streng gezogen hat, doch nicht für die Ewigkeit sind. Ihr wird teilweise der Spiegel vorgehalten, wobei sie auch vor Selbstjustiz nicht zurückschreckt.   Für mich war die Beschreibung des Alltags im damaligen South Boston erschreckend und ließ mich fast resigniert zurück. Es war normal, dass Kinder drogenabhängig wurden, in Banden landeten und regelmäßig als Halb- oder Vollwaise aufwuchsen. Mit entsprechenden Konsequenzen. Und auch die Wut auf die Politik, dass der Mensch auf der Straße Dinge auf der Straße „ausbaden“ sollte, während viele Politiker und wohlhabende Menschen sich freikauften. Übrigens ein Umstand, der sich bis heute regelmäßig wie ein roter Faden durchzieht.   Ein sehr empfehlenswertes Buch. Ich glaube, offiziell ist es ein Krimi, doch für mich war es ein Gesellschaftsroman über die Arbeiterviertel der 70er Jahre in den USA.

Sekunden der Gnade
Sekunden der Gnadevon Dennis LehaneDiogenes
11. März 2025
Bewertung:4

••• Fesselnd •••

Ich habe das Buch ohne Erwartungen gehört und war gefesselt... Man spürt die düstere Atmosphäre in Southie/Boston, die von Mafia und Rassenunruhen geprägt ist. Vorurteile werden an die jüngere Generation weitergegeben und es scheint, als könne nichts den Teufelskreis durchbrechen. Der Autor hat mir die Stadt und deren Menschen nah gebracht. Ein echt gutes Buch.

Sekunden der Gnade
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21. Dez. 2024
Bewertung:4

Wieder einmal hat Dennis Lehane seinen Status als Lieblingsautor untermauert. Welch eindrücklicher Roman. Welch intensive Geschichte. Welch knallharte Wirklichkeit. Lehane schreibt keine angenehmen Figuren. Er schreibt auch nicht über angenehme Themen. Und genau dies schätze ich so an ihm. In diesem Buch schmeisst er uns mitten in die Unruhen in Boston 1974. Ich habe mir nach der Lektüre ein paar Videos angesehen und kann bestätigen, dass Lehane nichts auslässt und nichts beschönigt. Ergreifend ist es, wie der Autor alle Sichtweisen glaubhaft darstellen kann. Er schildert die Angst, die Rassismus provoziert, auch auch den puren illusorischen Menschenhass. Er schildert die Trauer von Eltern, die ihre Kinder überleben, abseits der von der Gesellschaft geschaffenen Schranken. Er schildert Menschen, Menschlichkeit und dessen Gegenteil. Die ganze Bandbreite des Spektrums. Dieses Buch fühlt sich echt an. Real. Obwohl vieles auch aus einem Actionfilm stammen könnte. Dennoch folgte ich Mary Pats Weg atemlos, hätte Bobby am liebsten in die Arme geschlossen und überhaupt gerne alles verhindert. Leider ist dies nicht möglich. Möglich ist nur, mein Verhalten dem Gelernten anzupassen und mich selbst so anständig und aufrecht wie möglich zu verhalten. Und wenn es noch andere gibt, die das tun, können wir etwas bewirken, das hoffe ich.

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1. Aug. 2024
Bewertung:4

Das Buch ist großartig geschrieben und von Nina Kunzendorf grandios gelesen. Das Buch entwickelt einen Sog, dem ich nicht widerstehen konnte, obwohl es stellenweise wirklich gewaltvoll ist. Die soziale Situation in einem armen weißen Viertel in Boston kann man hautnah miterleben. Die harten Lebensumstände geben wenig Hoffnung auf ein gutes Ende. Von mir gibt es eine Lese bzw. Hörempfehlung, jedoch nicht für empfindsam Gemüter.

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14. März 2024
Bewertung:5

Gewohnt lässig und schnell jagt Lehane den Leser in druckvollen Sätzen durch die Story. Wir schreiben das Jahr 1974 - einer Klage wegen ungleichen Bildungschancen zufolge, hat ein Gericht entschieden, dass es in den öffentlichen Schulen von Boston keine Rassentrennung mehr geben darf. Schwarze Kinder sollen mit Bussen in die bislang rein weißen Schulen gebracht werden, weiße Schüler in die bislang rein schwarzen Schulen. Es kommt zu Aufständen der zumeist irischen Bevölkerung im weißen Stadtteil „Southie“. Die Stimmung heizt sich auf und steht kurz vor einer gewalttätigen Eskalation. Vor diesem brisanten Hintergrund kommt es zu einem tragischen Unfall, bei welchem ein junger Schwarzer in einer Bahnstation im weißen Viertel umkommt - Unfall oder Mord? In der selben Nacht verschwindet Jules, die siebzehnjährige Tochter der vom Leben enttäuschten Mary Pat Fennessy; ihr Sohn ist bereits an einer Überdosis Heroin gestorben, zwei Männer haben sie verlassen (einer in den Tod, der andere in ein besseres Leben). Mary Pat verliert nun endgültig den Halt und sucht ihre Tochter. Dabei kommt sie dem lokalen Gang-Chef in die Quere, der zu viel Aufmerksamkeit vermeiden will. Er versucht sie mit Drohungen und Geld zum Schweigen zu bringen - doch Mary Pat lässt sich nicht stoppen und schlägt mit der Verzweiflung einer Mutter sowie dem im Elternhaus erlerntem Hass und Zorn im wahrsten Sinne des Wortes um sich. Sie startet einen Feldzug, um die Wahrheit um das Verschwinden ihrer Tochter ans Licht zu zerren; dies gelingt ihr nur, indemnity den Tod des jungen Schwarzen aufklärt und die Schuldigen findet. Hierbei legt sie eine Brutalität an den Tag, der selbst die abgebrühten Gangster blass werden lässt. Der mit dem Fall des jungen Schwarzen betraute Polizist steht dabei zwischen den Stühlen; auf der einen Seite sieht er eine Frau, die in Selbstjustiz handelt, auf der anderen Seite erhält er Beweise und Sprechverbindungen Zeugen. Eine krasse Story zwischen Krimi und Familientragödie, in der eine Frau rot sieht, sich und ihr Leben letztlich aber auch hinterfragt; ihr Problem dabei, vieles bis alles kann man, kann sie nicht mehr rückgängig machen - daher bleibt ihr nur die Flucht nach vorn! Von meiner Seite eine ganz klare Empfehlung für Liebhaber einer actionreichen und knackig geschriebenen Story, die auch vor einem gewissen Maß an Gewalt nicht zurückzucken. Wäre es ein Film, so würde hier Melissa McCarthy unter den Mitgliedern der Örtlichen Gangster mit harter Hand aufräumen. Auch wenn Mary Pat etwas zierlicher geschildert wird, geht sie jedoch mit genau dieser Wucht voran, die McCarthy schon in einigen Filmen bewiesen hat. Von mir 5/5 Sternen für großes Kino in Papierform!

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6. Feb. 2024
Bewertung:4.5

Zeit der Rassentrennung in den Staaten Ein toter Afroamerikaner Eine verschwundene, weiße Tochter

Seit ich das erste mal mit der Gennaro & Kenzie-Reihe mit Dennis Lehane in Berührung kam, gehörte er zu meinen Top 3 Lieblingsautoren und es gibt nicht ein Roman von ihm, den ich schlechter als fantastisch bewerten würde. Auch bei diesem Werk, das sich kurz vor der Zeit der Rassentrennung in den Staaten abspielt und sich schnell mal einer Mutter nach der Suche ihrer Tochter nach dem Tod eines jungen Afroamerikaners und eines möglichen Zusammenhangs annimmt, versteht es Lehane wie kaum ein anderer, historische Hintergründe und ein spannender Kriminalfall miteinander zu verbinden. Der Mix aus sozialem Miteinander der irischen Arbeiterschicht, Rassismus, kriminellen Machenschaften und der aufgeheizten Stimmung im Boston der 1970er Jahren, lässt nicht los. Dramatisch, brutal, hoffnungsvoll und kein Wort zu viel, haben mich das Buch fast nicht aus der Hand legen lassen. Ob auch dieses Buch fantastisch ist? Nein. Es ist grandios.

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22. Nov. 2023
Bewertung:5

Die Geschichte spielt in einer schwierigen Umgebung (irische Mafia und Rassismus in Boston der 70er), ist aber so authentisch und fesselnd beschrieben, dass man das Gefühl hat mitten drin zu sein. Wie bei allen Büchern von Dennis Lehane ist die Atmosphäre nüchtern/ernst und es gibt kein Happy End bei dem sich alles zum Guten wendet. Für mich macht das die Geschichte umso spannender.

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25. Aug. 2023
Ein guter Thriller, unerschrocken und real !
Bewertung:3.5

Ein guter Thriller, unerschrocken und real !

Das Cover ist passend und zieht neugierig auf sich. Es sieht spannend und geheimnisvoll aus. Die Farben gefallen mir gut aber es ist auch irgendwie unverständlich. Das Buch war gut geschehe, es war verständlich und informativ. Ich finde das Thema Rassismus sehr wichtig und interessant. Es ist so schlimm, was Welt weit passiert. Die Geschichte war traurig und hat fassungslos gemacht. Man musste das erstmal verdauen aber es ist die Wahrheit. Das Buch hat den Kampf um die Freiheit der Gesetze „Gesellschaft“ und die Thematik gut beschrieben. Es wurde mit vielen Emotionen verbunden und ist sehr real. Die Charaktere waren mir manchmal ziemlich unschlüssig und nicht ganz verständlich ausgedrückt. Die Charaktere waren manchmal zu viel aber irgendwie auch auf ihre Art mal „anders“. Die Namen fand ich sehr komisch und es war am Anfang schwer zu lesen (reinzukommen) es war aber gleich spannend… die Erzähl Perspektive mochte ich persönlich auch garnicht gerne, aber es war ok… Die Geschichte ist unerschrocken und macht einen wütend & fassungslos.

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13. Aug. 2023
Bewertung:5

Mary Pat lebt mit ihrer 17-jährigen Tochter Jules in Southie, einem weißen Stadtteil von Boston. Das Leben ist hart, geprägt von Gewalt und dem Einfluss der starken Gangster im Viertel. Man kennt seine Nachbarn, häufig das ganze Leben lang. Träume gibt es nicht, die Kinder erben das Leben ihrer Eltern. Geprägt von Rassismus und der starken Überzeugung, dass es ihr Viertel ist, bauen sich 1974 Spannungen in der Gesellschaft auf. Hintergrund ist die offizielle Anordnung, dass schwarze und weiße Kinder Schulen tauschen sollen, um eine Durchmischung zu erreichen. Und dann verschwindet eines Nachts Jules und lässt Mary Pat verzweifelt zurück. Sie setzt alles daran, den Verbleib ihrer Tochter in Erfahrung zu bringen. Ihre Nachforschungen sind alles andere als ungefährlich für sie. Aber sie hat nichts mehr zu verlieren. Mary Pat ist ein spannender Charakter, vielschichtig und stark, eine tolle Protagonistin! Von der ersten Seite an konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Der Schreibstil ist mitreißend und authentisch. Man sollte auf brutalere Szenen eingestellt sein, es geht roh zu. Wer damit kein Problem hat, dem empfehle ich dieses Buch sehr!

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