Da liest man 1042 Seiten und fragt sich bei jeder Seite, jedem noch so langen, verschachtelten Satz, wann diese verworrenen, wie zufällig aneinandergereiten Wörter endlich einen Sinn ergeben. Figuren, die wild in den Zeiten hin und her springen- mal werden Zeiten erwähnt ( numerisch oder alphanumerisch, ganz nach Belieben des Autors) meist muss man selbst herausfinden in welcher Zeit man sich gerade befindet. Die Kriege im Balkan werden angerissen und nicht gebührend ausgearbeitet, Karl (Dr.) May begegnet man dagegen viel zu häufig. Bis zum Schluss hing ich der Hoffnung nach, endlich den sinngeben Abschnitt zu finden, ... ohne Erfolg...
Ich hatte das Buch kurz nach dem Erscheinen der Longlist erworben- nach dem mehr als peinlichen Auftreten des Autors bei der Preisvergabe hätte ich es definitiv nicht gekauft. Lange habe ich vor mir hergeschoben, es zu lesen- verschenkte Zeit. Wie viel Lesevergnügen hätte ich mit anderen Büchern haben können.
"Nun wollen Sie sicher wissen, was ein Projektor ist, Herr Wein ..."
"Nein. Ein Mann, der Projekte vorantreibt, nehme ich an."
Er nickte. "Ein Projektor, Herr Wein. Wir lenken das Licht."
- Zitat, Seiten 930, 931
Erleuchtung zu finden, in diesem ziegelschweren und seitenstarken Wälzer, ist nicht unbedingt ein Projekt, welches mit Erfolg gekrönt ist.
Dabei klingt der Klappentext sehr verheißungsvoll und so erwartet man mit Spannung einen großen europäischen Roman zu lesen, der eine Zeitspanne vom 2. Weltkrieg bis in die Gegenwart umfasst, die deutsch-jugoslawische Filmgeschichte zum Leben erweckt und die hässliche Fratze des Krieges zeigt. Darüber weht die Fahne der Nostalgie und der Mythos von Dr. May, der berühmter Patient in der Nervenheilanstalt war, wird in Gestalt von Cowboy und Indianer lebendig. Und nach all den Kämpfen und verlorenen Illusionen bleiben die bewegten Bilder, die den Suchenden wie Lichtpunkte im Dunkeln erscheinen. Aber wen oder was suchen sie: die Lebenden oder die Toten?
Ein wenig überrascht es schon, wenn man liest, dass der Autor erst 1977 geboren ist. Seine Ausdrucksweise wirkt zum Teil nämlich oft ein wenig aus der Zeit gefallen und nicht dem zeitlichen Kontext seiner Geschichte entsprechend. Als Beispiel sei eine Szene genannt, die in den 1980er Jahren stattgefunden haben muss:
Georg wusste plötzlich, wen der Kahlköpfige meinte. Maik war im ganzen Viertel bekannt. Niemand wollte sich mit ihm anlegen. Es gab regelrechte Legenden über seine Schlägereien. Seinen eigenen Vater hatte er bezwungen, ... -Zitat, Seite 505. Ernsthaft? Er hat seinen Vater bezwungen? Und das sollen die Gedanken eines Teenagers sein?
Auch die Allwissenheit des Erzählers, der Hinweise darüber einstreut, geht mit der Zeit gewaltig auf die Nerven.
FAZIT
Dieser Roman hat mich gepflegt gelangweilt. Man merkt dem Text durchaus an, dass die eingebauten Fragmente anderer Romane und auch die historischen Hintergründe sehr sorgfältig und mit Bedacht eingefügt wurden. Aber weder die für mich sehr künstlich wirkende Struktur noch der aufgesetzte Schreibstil konnten mich begeistern. Der emotionale Zugang zu den Figuren blieb mir komplett verschlossen, auch wenn ich bei Georg kurz Hoffnung hatte.
Vielleicht können Lesende, die einen Bezug zu Karl May und/oder den Verfilmungen haben, eher einen Bezug herstellen. Ich habe keinen Abenteuerroman gelesen und nur eine ganz schwache Erinnerung an die Figuren der Filme, wahrscheinlich waren die möglichen Anspielungen hierauf im Roman bei mir vergebliche Liebesmüh.
Als europäischen Gegenwartsroman mit historischen Bezügen ist er für mich persönlich keine Empfehlung wert.
Man mag von Clemens Meyers' "Auftritt" bzw Ausrasten bei der Verleihung des deutschen Buchpreises halten was man will (ich fand das "unsportlich" und unangenehm), aber das Buch selbst ist ein großartiges, episches Werk. In "Die Projektoren" spannt er den Bogen von 1941, als Hitlers Truppen in Jugoslawien einfallen bis zur heutigen Zeit. Er kommt dabei auch an den Dreharbeiten der deutschen Karl-May- Filme (die auf gleichem Boden wie der Krieg 1941 stattfanden) vorbei ebenso wie am Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren (wieder auf gleichem Boden). Wir erfahren, was deutsche Neonazis aus der ehemaligen DDR und aus Dortmund im Jugoslswienkrieg machen wollten und wie sie scheiterten und was aus ihnen wurde.
Clemens Meyer hat wichtige (und mir zu großen Teilen unbekannte!) Teile der europäischen und deutsch-jugoslawischen Geschichte der letzten 80 Jahre recherchiert und literarisch für uns aufbereitet. 5 Sterne reichen eigentlich nicht für dieses Werk.
Ein umfassendes Werk über eine Reise durch Krisenherde Europas mit dem Schwerpunkt Jugoslawien
#micdrop, ich hab es geschafft! Das längste Buch der Longlist ist gelesen, und es war ein wilder Ritt.
Vorweg eine kleine Anekdote aus meinem Leben. Als ich 1989 in Jugoslawien geheiratet habe, wurde ein (damals noch) verbotenes Lied auf meiner Hochzeit gesungen -die „Vila Velebita“ eine Ode an das Velebitgebirge und seine Naturgeister. Dafür konnte man vor 35 Jahren ins Gefängnis kommen, und in diesen Tagen war die Stimmung besonders aufgeladen. Doch auf einer Hochzeit ist irgendwann alles egal, und da unser kleines Dorf am Fuße dieses Höhenzugs liegt, wird der Text mit besonderer Inbrunst gesungen. Nur 1,5 Jahre später sollte dort ein schrecklicher Krieg toben, der Europa erschütterte und viele grausame Opfer forderte.
Genau dieses Velebit Gebirge hat sich Clemens Meyer als Dreh- und Angelpunkt seines Mammutwerks „Die Projektoren“ auserkoren. Wenn ihr eine Zusammenfassung des Inhalts erwartet, muss ich euch enttäuschen. Zu komplex und ausschweifend ist die Handlung (wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen kann). Fragmentarisch (das Wort wird öfter vorkommen) wandern wir zu Schauplätzen im ehemaligen Jugoslawien. Novi Sad, der Kosovo, die Stadt V. (Ich nehme mal an Vukovar ist gemeint) aber vor allem die Drehorte der Winnetou Filmreihe aus den 60er Jahren stehen hier im Mittelpunkt. Diese deutsch-jugoslawischen Westernproduktionen haben mich durch meine Kindheit begleitet, und obwohl ich heute reflektiert genug bin die Klischees zu erkennen, verbindet mich damit immer noch sentimentale Melancholie. Auch ich war verliebt in den Häuptling der Apachen und wusste damals noch nicht, dass er eigentlich ein Franzose ist. Wir begegnen also dem champagnertrinkenden Pierre Brice und Lex Barker, genannt LEX, der mit seinem Lederanzug und dem silbernen Gürtel Aufsehen erregt. Beide haben selber in Kriegen gekämpft und verdienen nun ihr Geld mit der Darstellung anderer Kämpfe. Im Gegensatz dazu haben wir Georg, der aus dem Osten Deutschlands im Jugoslawienkrieg Kampferfahrung sammeln möchte, nachdem er selber von Neonazis krankenhausreif geschlagen wurde. Wir sitzen mit Marshall Tito, der eine Vorliebe fürs Kino pflegt und Barker hofiert, in seiner Limousine. Wir schweigen mit einem Schäfer, der in der Einsamkeit der Berge aufwächst, und begleiten vor allem einen Cowboy, den man an seinem roten Halstuch erkennt und der durch die Schauplätze grausamer Auseinandersetzungen reist, auf der Suche nach „Damagdarut“ (einem Kino? Shangrila? Oder doch nur einem Wurmfortsatz?) und dabei auf politischen Wegen wandert. Er ist Partisan, Serbe in Kroatien, Gastarbeiter in Deutschland und wandelt zum Schluss auf der Balkanroute Richtung Syrien.
Aber es geht auch über die Grenzen Jugoslawiens hinaus. Immer wieder sind wir Gast in einer Klinik nahe Leipzig, in die der Fragmentarist Fragen aufwirft und „Dr.May“ herbei fantasiert wird.
Ihr merkt schon, einen roten Faden sucht man hier vergebens. Personen tauchen auf und kommen wieder. Oft weiß man nicht, wer jetzt wichtig oder nebensächlich für die Handlung scheint. Als ich mich entschieden habe loszulassen, von dem Anspruch einer linearen Erzählung folgen zu dürfen, ging’s mir mit dem Buch viel besser. Ulyssesgleich folgte ich dem Cowboy von einem grausamen Schauplatz zum anderen. Dass die südslawischen Nationen oft im Zentrum heftigster Auseinandersetzungen sind, hat mich nicht gewundert. Ich komme ja (zum Teil) dort her und habe vielen Erzählungen gelauscht, bei denen man genau wie hier nie so genau weiß, ob sie der Wahrheit entsprechen oder dem Legendenreich entstammen.
Es verläuft eine Grenze durch dieses Gebiet. Die Grenze zwischen Orient und Okzident, die Grenze zwischen Faschismus und Kommunismus, die Grenze zwischen Katholizismus und orthodoxem Glauben, aber vor allem die politische Grenze zwischen Ost und West. Und das hat Meyer ganz wunderbar und ausschweifend in Bildern übereinander gelegt.
Beeindruckt und gleichzeitig auf bittere Art und Weise amüsiert, hat mich das Kapitel in dem zwei Brüder (einer Kroate, einer Serbe - ja das geht!) sich zum Essen schmackhafter Balkangerichte treffen, um im Laufe des Mahls aneinanderzugeraten, sich wegen Kleinigkeiten zu überwerfen, und nachher verfeindeter denn je zu sein- alles, was sie einte, spielt keine Rolle mehr. Nur die Unterschiede werden noch gesehen. Exemplarisch für die ganze Situation in diesem Hort der Unruhe. Dass Tito die südslawischen Völker einst zusammenschweißte gehört ins Reich der Legenden. Das hat er nur mit Gefängnis-Inseln wie „Goli Otok“, der UDBA (die geheimdienstlich auch unter den Gastarbeitern in Deutschland agitierte) und einer großen Einschränkung der Freiheit geschafft. Kaum war er weg, zerbrach das Land fragmentarisch (da haben wir es wieder).
Grausamkeiten werden auf allen Seiten verübt, und die Deutschen, die Russen und auch die Amerikaner mischen kräftig mit.
Am atmosphärischsten fand ich das erste Kapitel, in dem der Cowboy dem Schäfer begegnet und bei ihm einzieht. Hier habe ich mich sofort zu Hause gefühlt, denn genau dort, in der Ebene unterhalb von „Tulove Grede“, einer markanten Felsformation, zu deren Füßen Intschu-Tschuna „begraben liegt“, wo das Indianer Pueblo stand, und wo die Zrmanja ins Meer fließt, liegt das kleine Dörfchen, aus dem die Hälfte meiner Familie stammt.
Diese Tatsache hat mir einen ziemlich großen Vorteil beim Lesen verschafft. Nicht nur, dass ich alle kroatischen Begriffe verstand, die Schauplätze zuordnen konnte und die Landschaft wie ein bioskopisches Panorama an mir vorbei zog, ich konnte mich auch in die Lebensart einfühlen, kenne die Geschichten, die man sich dort erzählt und die Verbindungen die daraus folgern. Da jegliche Erklärungen, Chronologien oder Karten im Anhang fehlen, kann ich mir vorstellen, dass es für Leser*innen, denen dieses Vorwissen fehlt, viel, viel schwieriger ist, Zusammenhänge in diesem manchmal zusammenhangslos erscheinenden Text zu erkennen. Ich habe allerdings (ich wiederhole mich) nicht den Anspruch mit allen Interpretationen richtig zu liegen und Meyers Gedanken gänzlich zu verstehen.
Was für eine Herausforderung es für den Autor gewesen sein muss Fakten und Legenden zu sammeln und sie entsprechend zu platzieren? Vor dieser Leistung ziehe ich meinen Hut, denn mein Gefühl sagt mir, dass man viele Dinge nur wissen kann, wenn man eine intensive Verbindung zu diesem Teil Europas hat. So viel schwingt zwischen den Zeilen über mehr als 1000 Seiten mit. Wie hat er das nur geschafft? Hat er vielleicht Karl May imitiert, der nie Berührungspunkte zu den First Nations hatte, uns das aber hat glauben lassen? Dass Meyer für sein Werk über 8 Jahre gebraucht hat, wundert einen nicht.
Sprachlich hat Meyer ganz tief in die Trickkiste gegriffen. Wie schon Joyce hat er fast jedem Kapitel einen anderen Erzählton gegeben.
Einmal werden 293 Sätze aufgelistet die uns die Geschichte erzählen wie Pierre Brice und Marvid Popović (der Darsteller von Winnetous Vater) zum „Wounded Knee“ reisen um eine Geldspende an Reservatsbewohner zu übergeben.
Es gibt eine Passage, in dem ein Dialog überwiegt, eine in dem onomatopoetische Lautmalerei den Schwerpunkt bilden.
Zitat:
„Tonka jr.: „S!S!S!“
Franko Nemo: Sch!Sch!Sch!
Tonka jr.: „Peng, pamm! Rammss!“
Franko Nemo: Sch-p!“(S.905)
Und als der Cowboy zum Schriftsteller mutiert und im Groschenheftgewerbe Westerngeschichten verfasst, können wir genauso Eine fragmentarisch mitlesen.
Da ich nicht mehr den Anspruch hatte, jeden einzelnen Satz zu verstehen, war ich offener für das Gesamtkunstwerk dieses Textes. Und das hat mir insgesamt richtig gut gefallen. Auch wenn es mich an manchen Stellen verloren hat, konnte mich Meyer immer wieder einfangen und für die Handlung interessieren. Dabei spielt es sicherlich eine Rolle, dass er an Humor nicht spart. Manchmal kamen mir die Sequenzen vor, als würde Leopold Bloom per Anhalter durch die Galaxis reisen. Crazy aber mit sehr hohem Anspruch. Hier hat sich ein Autor so richtig ausgetobt.
Ich glaube, man kann wirklich sagen, dass dies ein Meisterwerk ist, was Meyer natürlich zum potentiellen Kandidaten für den deutschen Buchpreis 2024 macht. Schauen wir mal, ob die Jury das ähnlich sieht…
Ihm ist es gelungen ein Land in den Mittelpunkt zu stellen, an dem sich die Krisen Europas zu kristallisieren scheinen.
Außerdem ist es eine Ode an das Kino und vermittelt verspielt, wie Menschen anhand von Bildern verführt und gebannt werden.
Für mich war die Lektüre auf jeden Fall ein großes Lesevergnügen, wenn auch kein leichtes.
Ein Roman über das Land Jugoslawien: Land, Leute,ä und Politik.
Es geht auch um den 2. Weltkrieg erlebt in Jugoslawien.
Um die Winnetou Filme, die im Velebit Gebirge gedreht wurden.
Um einen schwachsinnigen Schafhirte, der nicht schwachsinnig ist und um einen Cowboy.
Ein sehr komplexes Buch, das nicht einfach zu lesen ist! Stellenweise unheimlich packend erzählt und dann hat es mich leider auch immer wieder komplett verloren.
Sehr schwierig ohne Vorwissen die Anspielungen rauszulesen!
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