lädt zum Miträtseln ein, flüssiger Schreibstil, spannende Psychospielchen
Wer mich kennt weiß, dass ich mit deutschen Autoren oft so meine Problemchen habe. Deswegen war ich umso mehr erfreut, dass es Martin Krüger mit seinem Werk "Das Gesicht am Fenster", trotz einiger Schwächen geschafft hat, eine durchaus spannende Geschichte zu erzählen, die mich gut unterhalten hat. Aber worum geht es denn überhaupt?! Ein Neuanfang nach einem traumatischen Erlebnis: Die Wissenschaftler Sophie und Colin Carter ziehen mit ihren beiden Kindern ins Schweizer Wallis. Als ihre Tochter Kate ein Kindermädchen braucht, finden sie in der älteren Agatha eine liebevolle und gebildete Nanny. Alles scheint perfekt. Doch bald beschleicht Sophie das unheilvolle Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Die Kinder ziehen sich zurück, nachts geschieht Unerklärliches und Colin scheint etwas zu verbergen… Oder spielt Sophies Angst ihr einen grausamen Streich, die sie quält, seitdem sie einmal fast gestorben wäre? Sehr gut gelungen ist meiner Meinung nach der strukturierte Aufbau: Die Geschichte wird nämlich aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt und nicht nur die Familie Carter kommt zu Wort, sondern auch Charaktere wie die Nanny erhalten hierbei etwas Raum. Das daraus resultierende Gesamtbild macht einen neugierig und lädt zum Miträtseln ein. Der Schreibstil ist zudem angenehm und flüssig, sodass sich das Buch wirklich leicht lesen lässt. Allerdings wirken leider viele der Charaktere in ihren Verhaltensweisen oft überzeichnet und wenig nachvollziehbar. Die Storyentwicklung erscheint stellenweise einfach irgendwie unrund und besonders im späteren Verlauf, gegen Ende hin, nimmt die Handlung teils schon bizarre Züge an, was der Glaubwürdigkeit des Ganzen ein wenig schadet... Ich hatte gelegentlich das Gefühl, dass hier "zu viel des Guten" passiert – weniger wäre in diesem Fall definitiv mehr gewesen. Dennoch gelingt es dem Autor, durch eine stetige Grundspannung und ein Gefühl des Unbehagens den Leser bei der Stange zu halten. Man fragt sich immer wieder: Ist das jetzt alles real oder doch nur Einbildung? Die Unsicherheit, was sich tatsächlich abspielt und was vielleicht nur eine Projektion von Angst ist, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und wurde tatsächlich gut getroffen. Die verschlossene, fast schon feindselige Dorfgemeinschaft verstärkt dieses Gefühl dahingehend dann auch noch. Besonders unterhaltsam sind aber die Ermittlungen der Kinder, die auf eigene Faust versuchen, den vielen verschiedenen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Hier fühlt man sich fast ein wenig an "Fünf Freunde" erinnert. Auch die alte Legende rund um den grausamen Seemann Frey sorgt für den zusätzlichen Kick und verleiht dem abgelegen schweizerischen Örtchen eine mythische, fast schon bedrohliche Note. Ich persönlich hätte mit dem Titel des Buches auch eher Bezug auf ebendiesen Schauermann genommen, denn gerade er prägt das gesamte Geschehen maßgeblich... Eine der faszinierendsten Fragen, die das Buch aber für mich aufwirft, ist: Ist das Böse vererbbar? Kann Schuld weitergegeben werden – durch Blut, durch Gene, durch Erziehung? Während man liest, stellt man sich immer wieder die Frage, ob ein Mensch wirklich frei ist in seinen Entscheidungen – oder ob dunkle Impulse Teil eines unausweichlichen Erbes sind. "Das Gesicht am Fenster" wartet somit mit einem atmosphärischem Setting, einer interessanten Erzählweise und vielen düsteren Ideen auf. Auch wenn die Story stellenweise übertrieben wirkt und die Figuren nicht immer logisch agieren, punktet sie doch durch das konstante Gefühl der Unsicherheit, die dichte Stimmung und die gelungene Mischung aus Psychospielchen, Dorfmystik und Gruselmomenten. Wer es also gern ein bisschen schräg und unheimlich mag, wird hier trotz kleiner Schwächen auf seine Kosten kommen.