Women's Prize Longlist 2021 Ist es euch auch schonmal passiert, dass euch ein Buch, das euch anfangs gar nicht gefallen hat, am Ende total überzeugen konnte? Mein Nichtwarmwerden mit Nothing But Blue Sky lag in erster Linie an MacMahons Protagonist David (Ire, 51, Journalist), der mir einfach nicht sympathisch war. "Don't be an arsehole", sagt seine Frau Mary Rose in zahlreichen Situationen. Und ich stimme ihr zu. Auf jeder zweiten Seite ertönt es in meinem Kopf: Ja, David, sei kein Arschloch. David ist selbstgerecht, geizig, zynisch, ekelt sich vor Mehrgewichtigen, wechselt im Gym sogar das Sportgerät, wenn jemand mit etwas mehr Hüftgold neben ihm trainieren will. Er sieht absichtlich das Schlechte in Menschen, ist kaum zu Mitleid fähig und hat diese Journalisten-Arroganz verinnerlicht, die ihn auf andere, vor allem handwerkliche, Jobs herabsehen lässt. Seine Frau Mary Rose scheint das komplette Gegenteil zu sein: eine Heilige im Kostüm einer Kinderkrankenschwester. Als sie ohne Vorwarnung bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, gibt es niemanden mehr, der David daran erinnert, kein Arschloch zu sein. Allein fährt er noch einmal an ihren Urlaubsort an der spanischen Costa Brava und lässt die gemeinsamen Ehejahre Revue passieren. Kathleen MacMahons Protagonist ist so authentisch, dass ich teilweise vergaß, dass eine Frau dieses Buch geschrieben hat. Ihre Beobachtungsgabe für die allersubtilsten menschlichen Zwischentöne ist beachtlich. Die Beleuchtung einer Ehe voller Kompromisse und ungleicher Erwartungshaltungen (der Kinderwunsch ist bspw ein großes Thema) gelingt beeindruckend glaubwürdig und frei von jedem Kitsch. Und als David sich selbst, seinen Beruf und seine Ehe immer intensiver und kritischer reflektiert, passiert ES plötzlich: Ich habe einen Draht zu ihm gefunden, empfinde das erste Mal Empathie und Mitgefühl. Im Englischen würde ich sagen: I didn't like him at first, but he started to grow on me. Und genau deswegen ist MacMahon so ein Genie. Und ihr Buch so gut. Auf Englisch übrigens sehr anspruchsvoll und daher eher geübten Lesern zu empfehlen. Ich drücke die Daumen für eine Übersetzung
Women's Prize Longlist 2021 Ist es euch auch schonmal passiert, dass euch ein Buch, das euch anfangs gar nicht gefallen hat, am Ende total überzeugen konnte? Mein Nichtwarmwerden mit Nothing But Blue Sky lag in erster Linie an MacMahons Protagonist David (Ire, 51, Journalist), der mir einfach nicht sympathisch war. "Don't be an arsehole", sagt seine Frau Mary Rose in zahlreichen Situationen. Und ich stimme ihr zu. Auf jeder zweiten Seite ertönt es in meinem Kopf: Ja, David, sei kein Arschloch. David ist selbstgerecht, geizig, zynisch, ekelt sich vor Mehrgewichtigen, wechselt im Gym sogar das Sportgerät, wenn jemand mit etwas mehr Hüftgold neben ihm trainieren will. Er sieht absichtlich das Schlechte in Menschen, ist kaum zu Mitleid fähig und hat diese Journalisten-Arroganz verinnerlicht, die ihn auf andere, vor allem handwerkliche, Jobs herabsehen lässt. Seine Frau Mary Rose scheint das komplette Gegenteil zu sein: eine Heilige im Kostüm einer Kinderkrankenschwester. Als sie ohne Vorwarnung bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, gibt es niemanden mehr, der David daran erinnert, kein Arschloch zu sein. Allein fährt er noch einmal an ihren Urlaubsort an der spanischen Costa Brava und lässt die gemeinsamen Ehejahre Revue passieren. Kathleen MacMahons Protagonist ist so authentisch, dass ich teilweise vergaß, dass eine Frau dieses Buch geschrieben hat. Ihre Beobachtungsgabe für die allersubtilsten menschlichen Zwischentöne ist beachtlich. Die Beleuchtung einer Ehe voller Kompromisse und ungleicher Erwartungshaltungen (der Kinderwunsch ist bspw ein großes Thema) gelingt beeindruckend glaubwürdig und frei von jedem Kitsch. Und als David sich selbst, seinen Beruf und seine Ehe immer intensiver und kritischer reflektiert, passiert ES plötzlich: Ich habe einen Draht zu ihm gefunden, empfinde das erste Mal Empathie und Mitgefühl. Im Englischen würde ich sagen: I didn't like him at first, but he started to grow on me. Und genau deswegen ist MacMahon so ein Genie. Und ihr Buch so gut. Auf Englisch übrigens sehr anspruchsvoll und daher eher geübten Lesern zu empfehlen. Ich drücke die Daumen für eine Übersetzung