Paul Austers eigene Interpretation des Butterfly-Effekts🦋
Paul Auster stellt seine Leserinnen und Leser vor eine besondere Herausforderung: Er erschafft mit Archie Ferguson einen Protagonisten, der zugleich in vier parallel verlaufenden Handlungssträngen existiert. Auch zahlreiche Nebenfiguren finden in diesem erzählerischen Multiversum ihre Rollen. Das daraus entstehende Geflecht ist geprägt von Zufällen, Möglichkeiten und Entscheidungen. Jede Version von Fergusons Leben entwickelt sich trotz identischer Ausgangslage in eine gänzlich andere Richtung. Dabei gibt es Konstanten, die in allen vier Geschichten auftauchen, aber jeweils unterschiedliche Ausprägungen erhalten. So zeigen alle Fergusons eine starke Affinität zu kreativen, beinahe künstlerischen Tätigkeiten, doch jede Version findet einen anderen Zugang: Der eine wird zum tragischen Helden, der andere zum intellektuellen Schriftsteller. Auster entwirft ein faszinierendes Szenario und geht der zentralen Frage nach: Was wäre gewesen, wenn? Dabei bricht er mit der traditionellen Struktur des Entwicklungsromans und rückt stattdessen die Rolle des Zufalls ins Zentrum seiner Erzählung. Der Roman zeigt eindrucksvoll, dass das Leben keinem linearen Verlauf folgt und dass jede gewählte Abzweigung dennoch real, gültig und bedeutungsvoll sein kann. Es gibt nicht den einen „richtigen“ Weg. Auster stellt zudem die Frage, wie viel Entscheidungsgewalt wir tatsächlich über unser Leben haben und welchen Anteil vielleicht der Zufall trägt. Auch sprachlich gelingt ihm viel: Sprache dient hier nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als gestaltende Kraft. Ferguson formt durch das Erzählen seine Wirklichkeit. Besonders spannend ist der wiederkehrende Wechsel zwischen personaler und auktorialer Erzählweise, so gelingt eine tiefere Reflexion und Einsicht in das Innenleben der Figuren. Allerdings entführt Auster den Leser auch in ein mitunter schwer durchschaubares Labyrinth. Manchmal wünscht man sich, einen Ausweg zu finden, doch der Weg bleibt versperrt. Der Wechsel zwischen den Erzählsträngen sowie der Vergleich der Charaktere über die verschiedenen Handlungsverläufe hinweg ist fordernd und verlangt Konzentration. Die zentrale Botschaft des Romans finde ich gelungen und deutlich, allerdings bin ich der Auffassung, dass sie auch auf weniger Seiten hätte vermittelt werden können. In manchen Passagen wird Auster zu detailliert und stellenweise repetitiv.