Sie kam aus Mariupol

Sie kam aus Mariupol

E-Book
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Haupt-Genre
N/A
Sub-Genre
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Format
E-Book
Seitenzahl
347
Preis
9.99 €

Beiträge

9
Alle
4

Immens aktuell, erschreckend und fesselnd

4

Mehr als nur ein Bild

Natascha Wodin weiß lange nichts über ihre Mutter. Nicht mehr als ein paar alte Fotos und eine Ikone erinnern an das Leben von Jewgenia Wodin in der Ukraine, die dort ein ganz anderes Leben hätte führen sollen als sie es später als Zwangsarbeiterin in Deutschland tat. Selbst in schon fast betagtem Alter macht sich Natascha Wodin auf die Suche nach ihren Wurzeln, ihrer Familie in der Ukraine, von der sie Jahrzehnte nichts ahnte. Dabei gibt es sehr viel Interessantes, Unglaubliches, Spannendes und Trauriges zu erfahren, denn Wodins Familie verbindet ein breites Netz über die Zeit und über Kontinente hinweg, welches an einigen Stellen zerriss und nie wieder geflickt werden konnte. Die Suche nach den Verwandten ihres Vaters und ihrer Mutter, den Entdeckungen, Freuden und Enttäuschungen bei der Suche haben mich gefesselt und regelrecht fasziniert. Wodin schreibt mit einer eindringlichen Leichtigkeit, die die Ereignisse wie einen Film vor dem inneren Auge ablaufen lassen. Besonders scheint es ihr ihre Tante Lidia angetan zu haben, deren Schicksal auch ich außergewöhnlich fand und welches den Bogen zum Leben von Natascha Wodins Mutter und der Kindheit der Autorin selbst spannt. Auch wenn die Mutmaßungen zu Jewgenia Wodins Zeit als Flüchtende und Heimatlose in Deutschland absolut authentisch und fesselnd geschrieben wurden, hat mir der erste Teil, bei dem Natascha Wodin ihren eigenen Stammbaum zusammensetzt, noch besser gefallen. Vielleicht lag es an der ausgewogenen Mischung aus dramatischen und hoffnungsvollen Elementen, dem speziellen Rätselcharakter einer Ahnensuche oder an der sympathischen Art, wie Wodin ihre eigene Verwandtschaft entdeckt und ihre Eindrücke schildert. Etwas verwunderlich war es für mich, dass Wodin im Buch nie selbst nach Mariupol oder an einen anderen Ort ihrer Familien-Vergangenheit reist. Erklären konnte ich mir das aber durch das Alter der Autorin und die Tatsache, dass das Herz einer Schreibenden eben auf dem Blatt Papier liegt.

4

Selten hat mich ein Buch so mitgenommen. Die Familientragödie wird über mehrere Jahre hinweg bis in die 50er während der Zwangsarbeit in Deutschland erzählt. Es wird nüchtern und gleichzeitig so emotional und bildlich beschrieben was in den einzelnen Epochen passiert, das es nur schwer auszuhalten ist. Sehr lesenswert und sollte zur Pflichtlektüre gehören.

5

Dieses Buch liefert mir all die Antworten, die Tiefe, den Kern des Homo Sovieticus, was mir in "Das achte Leben- für Brilka" gefehlt hat. Eine intensive Lektüre, die wunderbar das Verständnis von Masha Gessens Buch " Die Zukunft ist Geschichte- Warum Russland die Freiheit gewann und verlor" untermauert, verstärkt und darüber hinaus weitertreibt. Das ist Geschichte, die tief erschüttert und einen zerstört. Ein Buch, das mir viele Tränen in die Augen getrieben hat und für das ich Frau Wodin unendlich dankbar bin.

5

„Die Bezahlung der Zwangsarbeiter ist ein Hohn, und Frauen verdienen noch weniger als Männer. Nach Abzug der Steuer, der Sozialversicherung, der Ostarbeiterabgabe und der Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden meiner Mutter, wenn ich richtig gerechnet habe, weniger als sechs Reichsmark die Woche geblieben sein. Dafür kann sie sich so gut wie nichts kaufen.“ (S.272) Mariupol ist nicht das erste mal zum Angriffsziel gewowrden. Denn schon im zweiten Weltkrieg erlitt die Stadt Mariupol schwere Zerstörungen. Die Nationalsozialisten deponierten zwischen 1939 und 1945 eine unbekannte Menge von Menschen aus Osteuropa in die deutschen Fabriken als Arbeitssklaven. Natascha Wodin erfuhr sehr spät, dass ihre Mutter und Vater Teil der Zwangsarbeiter waren, als sie sich auf der Suche nach der Geschichte der eigenen Mutter begibt. Ins russische Internet wird sie fündig, als sie den Namen, der eigenen Mutter sucht. Natascha versucht den Stammbau so weit es geht zu rekonstruieren und entdeckt auch ihre italienischen Wurzel. Natascha wuchs in deutschen DP-Lager (Displaced Person) und später in einem katholischen Mädchenheim. Die schwer traumatisierte und depressive Mutter ließ die Kinder ohne je über die eigene Herkunft zu erzählen im Stich und begibt Suizid. Es ist definitiv kein einfaches Buch zum Lesen, denn Natascha gräbt sehr tief in ihrer Herkunftsgeschichte und nimmt die Lesenden schonungslos und schmerzhaft mit. Auch diesmal zu meiner Schande wusste ich gar nichts über das Schicksal der sowjetischen Zwangsarbeiter, die nach Kriegsende in ihrer Heimat verstoßen wurden, weil sie für den Feind gearbeitet hatten (gegen deren eigenen Willen), und über ihr Schicksal in Deutschland, dem Land ihrer ehemaligen Peiniger, wo sie ebenfalls diskriminiert wurden. Sehr verstörend und tieftraurig beschreibt die Autorin den Hungersnot, in der sich die Mutter und viele andere armen Menschen befanden. Natascha Wodin setzt sich schonungslos mit ihrer eigenen Familiengeschichte auseinander und schafft nicht nur für sich, sondern für alle Lesenden eine qualvolle, aber durchaus von Relevanz maßgebende Lektüre der Gegenwart. „Viele essen Hunde und Katzen. Nachdem alle Hunde und Katzen aufgegessen sind, kommen die Menschen dran. Man hört von Frauen, die Kinder mit Essbarem in ihr Haus locken und sie töten, um Hackfleisch und Braten aus ihnen zu machen.“ (S.187)

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Eine historisch dramatische Spurensuche

Natascha Wodins autobiografische Recherche beginnt in der ukrainischen Vorkriegszeit und führt über die Zeit des Zweiten Weltkriegs bis hin zu ihrer eigenen Kindheit in den 1960er Jahren. Sie bietet ihren Lesern einen spannenden historischen Abriss dieser Epoche, verbunden mit der Darstellung des Leids ihrer Vorfahren, das sich zu einer tragischen Familiengeschichte entwickelt. Mit einem poetisch anmutenden Schreibstil gelingt es Wodin, eine besondere Tiefe und emotionale Verbundenheit zu ihrem Werk herzustellen. Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über Themen wie Entwurzelung, Identitätssuche und die Auswirkungen von Kriegstraumata. Diese Aspekte machen es auch heute, insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Lage in der Ukraine, hochrelevant. Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass dies kein Sachbuch ist. Die Grenzen zwischen dokumentarischen Fakten und literarischer Fiktion verschwimmen oft. Ein Großteil der Lebensgeschichte von Wodins Mutter basiert auf subjektiven Interpretationen, wodurch die historische Grundlage stellenweise an Präzision verliert. Zudem kann der ansonsten gelungene Schreibstil in manchen Passagen durch seine ausgeprägte Melancholie etwas überladen und anstrengend wirken. Wer diese Aspekte akzeptiert, wird mit einer eindringlichen und dramatischen Reise durch die kriegsgeprägte Ukraine des 20. Jahrhunderts belohnt.

5

"Immer wieder, beinah zwanghaft, ziehen vor ihrem inneren Auge die Gesichter der Eltern, der Geschwister, der Freunde und Bekannten. Mit jedem von ihnen führt sie Zwiegespräche, in denen sie nach sich selbst sucht, nach dem Menschen, der sie früher einmal gewesen ist." Die Autorin Natascha Wodin wurde 1945 als Kind ukrainischer Zwangsarbeitenden in Bayern geboren und wuchs versteckt auf einem Fabrikgelände auf, bis die Familie in ein Lager für 'Displaced Persons' ziehen müsste. Bereits mit 10 Jahren nahm ihre Mutter sich das Leben und ließ Natascha und ihre Schwester zurück, mit einer Familiengeschichte bestehend aus Leerstellen und Fragezeichen. Circa sechs Jahrzehnte später im Glauben, keine Antworten mehr erwarten zu können, gibt Wodin den Namen ihrer Mutter in eine russische Suchmaschine ein. Damit eröffnet sich ihr erst zaghaft, mit sehr vielen Irrungen und Wirrungen, dann doch immer bestimmter ein neuer Weg: hin zu ihrer verloren geglaubten Familiengeschichte. Natascha Wodin nimmt die Lesenden mit auf ihre lange und spannende Spurensuche. Dabei erzählt sie mit schmucklosen Worten, wie nebenher, die Geschichte eines Jahrhunderts, in dem Europäer*innen vieles dafür taten, um sich größtmöglich zu schaden. Jeder Figur aus ihrem näheren Stammbaum gibt Wodin Raum und ergründet, durch welche Themen deren Leben bestimmt waren, durch welche Bedrohungen und Möglichkeiten. Obwohl immer wieder zwischen Personen und Zeiten gesprungen wird, macht Wodin es einfach, ihrer Struktur zu folgen (sicherlich auch dank des Stammbaums hinten im Buch). Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und musste in den tragischen Schicksalen, dem unvorstellbaren Leid vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg versinken. Stets mit der Frage im Sinn: wie kann ein Mensch das einem anderen antun? Und: wie kann ein Mensch das ertragen? Für mich ist 'Sie kam aus Mariupol' ein Ausnahmebuch, eine Familiengeschichte, die sich unter die Haut gräbt und nachwirkt. Ganz große Empfehlung! CN: Su1zid, M0rd, T0d, Z-Wort, Antiz1ganismus, Verg3waltigung und andere Formen s3xualisierter G3walt, häusliche G3walt, F0lter, Kindesm1ssbrauch

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Unfassbare berührende Geschichte

5

Die Rezension zu diesem Buch findet Ihr hier https://tintenhain.de/2017/05/04/natascha-wodin-sie-kam-aus-mariupol-rezension/

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