Mitgift
Jetzt kaufen
Durch das Verwenden dieser Links unterstützt du READO. Wir erhalten eine Vermittlungsprovision, ohne dass dir zusätzliche Kosten entstehen.
Beschreibung
Autorenbeschreibung
Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane und Gedichte vielfach ausgezeichnet: zuletzt mit dem Preis der LiteraTour Nord, dem Bayerischen Buchpreis, dem Deutschen Preis für Nature Writing, dem Ida-Dehmel-Literaturpreis, dem Spycher Literaturpreis Leuk sowie mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds. Von 2015 bis 2017 lehrte sie an der Universität Oxford, seit April 2018 ist sie Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Hier und in Berlin lebt und schreibt sie - neben Romanen und Gedichten auch Erzählungen und Essays. Draesner interessiert sich für Naturwissenschaften ebenso wie für kulturelle Debatten.
Beiträge
„𝘞𝘪𝘦 𝘭𝘦𝘣𝘴𝘵 𝘥𝘶, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘴𝘤𝘩𝘪𝘦𝘳𝘦 𝘌𝘹𝘪𝘴𝘵𝘦𝘯𝘻 𝘢𝘯𝘥𝘦𝘳𝘦𝘯 𝘈𝘯𝘨𝘴𝘵 𝘮𝘢𝘤𝘩𝘵? 𝘞𝘪𝘦 𝘭𝘦𝘣𝘴𝘵 𝘥𝘶, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘴𝘪𝘦 𝘮𝘪𝘵 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘯 𝘔𝘪𝘵𝘵𝘦𝘭𝘯 𝘷𝘦𝘳𝘴𝘶𝘤𝘩𝘦𝘯, 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘫𝘦𝘯𝘦 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘻𝘶 𝘭𝘢𝘴𝘴𝘦𝘯, 𝘥𝘪𝘦 𝘥𝘶 𝘣𝘪𝘴𝘵?“ (𝘚.358) Aloe fühlte sich immer im Schatten ihrer jüngeren Schwester Anita. Anita war hübscher, erfolgreicher, weiblicher… Sie wurde bevorzugt behandelt, was letztendlich zum Bruch Aloes mit ihren Eltern führt. Was Aloe erst sehr spät erfährt: Anita ist intersexuell. Gleich nach der Geburt wurde mit geschlechtsangleichenden Operationen und Hormonbehandlung begonnen, ein Vorgehen das in den 90ern gang und gäbe war. Diese Erkenntnis führt letztendlich dazu, das Aloe Weiblichkeit an sich hinterfragt, ihren Körper massiv herunter hungert, während Anita anscheinend perfekt in ihre Rolle hinein gewachsen ist. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn… Aber der Schein trügt: Heimlich spart sie Geld für die Umkehr der damals durchgeführten Eingriffe, setzt die weiblichen Hormone ab und nimmt stattdessen Testosteron. Als sie es ihrer Familie unterbreitet, ist Aloe die Einzige, von der sie Unterstützung erfährt. - Als Dreasners Roman 2002 erstmalig erscheint, findet er wenig Absatz. In meinen Augen kaum verwunderlich, denn die Sichtbarkeit von intersexuellen Menschen ging gen Null. Um das Warum zu verstehen, muss man ein bisschen in die Geschichte schauen: Bis vor nicht allzu langer Zeit wurden bei Babys, die ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale zur Welt gekommen sind, prinzipiell geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt, zumeist ohne ausreichende Aufklärung der Eltern. Auch die betroffenen Kinder wussten davon in den allermeisten Fällen nichts. Es wurde unter den Tisch gekehrt und gehofft, dass sich das Kind in das ihm aufgezwungene Geschlecht fügt. Erst 2012 wurde von der Ethikkommision empfohlen, OP‘s nicht mehr durchzuführen. Das Gesetz zum Verbot von medizinisch nicht notwendigen Operationen kam erst 2021! Dreasner beschreibt sehr eindrücklich welche Qualen die Angleichungen mit sich gebracht haben. Die Eingriffe an sich sind nur angedeutet, aber selbst das reicht aus, um zu erkennen, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit in diesem Falle ignoriert wurde. Ebenfalls nur angedeutet werden die psychischen Folgen für Betroffene. Aus Sicht von Aloe wird man als Lesende*r durch das Geschehen geführt und bekommt somit den Blick aus Sicht einer Angehörigen. Als Schwester hat sie die Krankenhausaufenthalte und die anschließenden Schmerzen ihres Geschwisterkindes mitbekommen, ebenso wie die Auseiandersetzungen der Eltern und das Schweigen. Dies hat auch Folgen für Aloe, scheint sie doch an einem bestimmten Punkt binäre Einordnungen und somit auch ihre eigene Weiblichkeit abzulehnen, was sie letztendlich in die Magersucht treibt. Anitas Umgang mit der Situation, ihre Gefühle und Gedanken dazu, erfährt man leider nur am Rand, verklärt durch die Sicht der Schwester. Hier hätte ich mir etwas mehr Tiefe gewünscht, was aber wahrscheinlich nicht möglich ist, wenn man nicht aus der „Betroffenen“-Perspektive schreibt. Der Schreibstil ist anspruchsvoll, beinhaltet sehr viele lange, geschachtelte Sätze (mag ich) und die beiden Zeitebenen wirken anfangs etwas diffus. Ist man aber erstmal hinter den Ablauf gekommen, lässt es sich schön lesen. Von mir eine große Empfehlung für diesen Roman. Ich hoffe das er in der Neuauflage sehr viel mehr Leser*innen finden wird und die Beachtung bekommt, die er verdient.
Berührende Geschichte über zwei Schwestern, die beide unter den heteronormativen Zwängen der Gesellschaft leiden und in eine Geschlechterrolle gezwängt werden, die ihnen zunehmende Probleme bereitet.
Anita und Aloe sind zwei Schwestern, die in den 90er Jahren in einer deutschen Kleinstadt aufwachsen. In ihrer Beziehung zueinander spielen Neid, Wut und Schmerz eine sehr große Rolle. Was die beiden in ihrer Kindheit noch nicht wissen und verstehen können, holt sie im Erwachsenenalter ein: Die vorherrschende Geschlechtsnormen und die Binarität der Gesellschaft. Anita ist intersexuell und (wie für damalige Verhältnisse leider üblich) wird ihre „Uneindeutigkeit“ angepasst, indem zahlreiche Operationen und Hormontherapien angesetzt werden. Ziel ist es, das zweigeschlechtliche Kind so eindeutig wie möglich einen der beiden Geschlechter zuzuordnen. Selbstredend leidet das Kind darunter. Die Geschichte wird aus der Perspektive der Schwester erzählt. Für mich persönlich war der Schreibstil gewöhnungsbedürftig. Er ist sehr kreativ, abgebrochene Sätze und Gedanken fügen sich ineinander ein, ergänzen sich und hacken sich gegenseitig ab. An einigen Stellen ist mir die Entwicklung der Geschichte zu langsam, ich habe mir da schwer getan das Buch in einem Rutsch durchzulesen (was aber sicherlich auch an der traurigen Geschichte liegt). Der Spannungsbogen baut sich aber gen Ende wieder sehr gut auf und das Buch endet mit einen zumindest für mich nicht sofort vorhersehbaren Ereignis. Im Buch werden folgende Themen angesprochen: Intersexualität, Kindesmissbrauch (emotional/verbal), Beziehungsunfähigkeit, Essstörungen, traditionelle Geschlechterrollen, Binarität, Diversität/Queerness Ich finde der Roman ist sehr gut gelungen, auch, was die beiden Gegenpole von KULTUR und NATUR betrifft. Diese werden im Buch gleich mehrfach verkörpert: Anita/Alex (intersexuell - wie wird die Person sozialisiert?), Aloe-Vera/Lollo (Kunsthistorikerin), Lukas (Naturwissenschaftler). Mir gefällt besonders gut, wie im Laufe des Buches verdeutlicht wird, was sozialisiert/operiert wurde und was als Natur angesehen wird. Von mir eine Empfehlung, wenn ihr über Intersexualität lesen möchtet und euch der Schreibstil nicht abschreckt.
Beschreibung
Autorenbeschreibung
Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane und Gedichte vielfach ausgezeichnet: zuletzt mit dem Preis der LiteraTour Nord, dem Bayerischen Buchpreis, dem Deutschen Preis für Nature Writing, dem Ida-Dehmel-Literaturpreis, dem Spycher Literaturpreis Leuk sowie mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds. Von 2015 bis 2017 lehrte sie an der Universität Oxford, seit April 2018 ist sie Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Hier und in Berlin lebt und schreibt sie - neben Romanen und Gedichten auch Erzählungen und Essays. Draesner interessiert sich für Naturwissenschaften ebenso wie für kulturelle Debatten.
Beiträge
„𝘞𝘪𝘦 𝘭𝘦𝘣𝘴𝘵 𝘥𝘶, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘴𝘤𝘩𝘪𝘦𝘳𝘦 𝘌𝘹𝘪𝘴𝘵𝘦𝘯𝘻 𝘢𝘯𝘥𝘦𝘳𝘦𝘯 𝘈𝘯𝘨𝘴𝘵 𝘮𝘢𝘤𝘩𝘵? 𝘞𝘪𝘦 𝘭𝘦𝘣𝘴𝘵 𝘥𝘶, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘴𝘪𝘦 𝘮𝘪𝘵 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘯 𝘔𝘪𝘵𝘵𝘦𝘭𝘯 𝘷𝘦𝘳𝘴𝘶𝘤𝘩𝘦𝘯, 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘫𝘦𝘯𝘦 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘻𝘶 𝘭𝘢𝘴𝘴𝘦𝘯, 𝘥𝘪𝘦 𝘥𝘶 𝘣𝘪𝘴𝘵?“ (𝘚.358) Aloe fühlte sich immer im Schatten ihrer jüngeren Schwester Anita. Anita war hübscher, erfolgreicher, weiblicher… Sie wurde bevorzugt behandelt, was letztendlich zum Bruch Aloes mit ihren Eltern führt. Was Aloe erst sehr spät erfährt: Anita ist intersexuell. Gleich nach der Geburt wurde mit geschlechtsangleichenden Operationen und Hormonbehandlung begonnen, ein Vorgehen das in den 90ern gang und gäbe war. Diese Erkenntnis führt letztendlich dazu, das Aloe Weiblichkeit an sich hinterfragt, ihren Körper massiv herunter hungert, während Anita anscheinend perfekt in ihre Rolle hinein gewachsen ist. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn… Aber der Schein trügt: Heimlich spart sie Geld für die Umkehr der damals durchgeführten Eingriffe, setzt die weiblichen Hormone ab und nimmt stattdessen Testosteron. Als sie es ihrer Familie unterbreitet, ist Aloe die Einzige, von der sie Unterstützung erfährt. - Als Dreasners Roman 2002 erstmalig erscheint, findet er wenig Absatz. In meinen Augen kaum verwunderlich, denn die Sichtbarkeit von intersexuellen Menschen ging gen Null. Um das Warum zu verstehen, muss man ein bisschen in die Geschichte schauen: Bis vor nicht allzu langer Zeit wurden bei Babys, die ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale zur Welt gekommen sind, prinzipiell geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt, zumeist ohne ausreichende Aufklärung der Eltern. Auch die betroffenen Kinder wussten davon in den allermeisten Fällen nichts. Es wurde unter den Tisch gekehrt und gehofft, dass sich das Kind in das ihm aufgezwungene Geschlecht fügt. Erst 2012 wurde von der Ethikkommision empfohlen, OP‘s nicht mehr durchzuführen. Das Gesetz zum Verbot von medizinisch nicht notwendigen Operationen kam erst 2021! Dreasner beschreibt sehr eindrücklich welche Qualen die Angleichungen mit sich gebracht haben. Die Eingriffe an sich sind nur angedeutet, aber selbst das reicht aus, um zu erkennen, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit in diesem Falle ignoriert wurde. Ebenfalls nur angedeutet werden die psychischen Folgen für Betroffene. Aus Sicht von Aloe wird man als Lesende*r durch das Geschehen geführt und bekommt somit den Blick aus Sicht einer Angehörigen. Als Schwester hat sie die Krankenhausaufenthalte und die anschließenden Schmerzen ihres Geschwisterkindes mitbekommen, ebenso wie die Auseiandersetzungen der Eltern und das Schweigen. Dies hat auch Folgen für Aloe, scheint sie doch an einem bestimmten Punkt binäre Einordnungen und somit auch ihre eigene Weiblichkeit abzulehnen, was sie letztendlich in die Magersucht treibt. Anitas Umgang mit der Situation, ihre Gefühle und Gedanken dazu, erfährt man leider nur am Rand, verklärt durch die Sicht der Schwester. Hier hätte ich mir etwas mehr Tiefe gewünscht, was aber wahrscheinlich nicht möglich ist, wenn man nicht aus der „Betroffenen“-Perspektive schreibt. Der Schreibstil ist anspruchsvoll, beinhaltet sehr viele lange, geschachtelte Sätze (mag ich) und die beiden Zeitebenen wirken anfangs etwas diffus. Ist man aber erstmal hinter den Ablauf gekommen, lässt es sich schön lesen. Von mir eine große Empfehlung für diesen Roman. Ich hoffe das er in der Neuauflage sehr viel mehr Leser*innen finden wird und die Beachtung bekommt, die er verdient.
Berührende Geschichte über zwei Schwestern, die beide unter den heteronormativen Zwängen der Gesellschaft leiden und in eine Geschlechterrolle gezwängt werden, die ihnen zunehmende Probleme bereitet.
Anita und Aloe sind zwei Schwestern, die in den 90er Jahren in einer deutschen Kleinstadt aufwachsen. In ihrer Beziehung zueinander spielen Neid, Wut und Schmerz eine sehr große Rolle. Was die beiden in ihrer Kindheit noch nicht wissen und verstehen können, holt sie im Erwachsenenalter ein: Die vorherrschende Geschlechtsnormen und die Binarität der Gesellschaft. Anita ist intersexuell und (wie für damalige Verhältnisse leider üblich) wird ihre „Uneindeutigkeit“ angepasst, indem zahlreiche Operationen und Hormontherapien angesetzt werden. Ziel ist es, das zweigeschlechtliche Kind so eindeutig wie möglich einen der beiden Geschlechter zuzuordnen. Selbstredend leidet das Kind darunter. Die Geschichte wird aus der Perspektive der Schwester erzählt. Für mich persönlich war der Schreibstil gewöhnungsbedürftig. Er ist sehr kreativ, abgebrochene Sätze und Gedanken fügen sich ineinander ein, ergänzen sich und hacken sich gegenseitig ab. An einigen Stellen ist mir die Entwicklung der Geschichte zu langsam, ich habe mir da schwer getan das Buch in einem Rutsch durchzulesen (was aber sicherlich auch an der traurigen Geschichte liegt). Der Spannungsbogen baut sich aber gen Ende wieder sehr gut auf und das Buch endet mit einen zumindest für mich nicht sofort vorhersehbaren Ereignis. Im Buch werden folgende Themen angesprochen: Intersexualität, Kindesmissbrauch (emotional/verbal), Beziehungsunfähigkeit, Essstörungen, traditionelle Geschlechterrollen, Binarität, Diversität/Queerness Ich finde der Roman ist sehr gut gelungen, auch, was die beiden Gegenpole von KULTUR und NATUR betrifft. Diese werden im Buch gleich mehrfach verkörpert: Anita/Alex (intersexuell - wie wird die Person sozialisiert?), Aloe-Vera/Lollo (Kunsthistorikerin), Lukas (Naturwissenschaftler). Mir gefällt besonders gut, wie im Laufe des Buches verdeutlicht wird, was sozialisiert/operiert wurde und was als Natur angesehen wird. Von mir eine Empfehlung, wenn ihr über Intersexualität lesen möchtet und euch der Schreibstil nicht abschreckt.