Kallocain
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Author Description
Karin Boye (1900 bis 1941) war eine schwedische Schriftstellerin und Lyrikerin. Wie viele Intellektuelle der Zwischenkriegszeit kehrte sie enttäuscht und desillusioniert von einem Aufenthalt in der Sowjetunion zurück. "Kallocain" gilt als ihr Hauptwerk und wird in einem Atemzug mit Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" und George Orwells "1984" genannt. Peter Weiss setzte ihr im dritten Band seiner "Ästhetik des Widerstands" ein literarisches Denkmal, Nelly Sachs übersetzte eine Auswahl ihrer Gedichte. Karin Boye nahm sich 1941 in einem Wald bei Alingsås das Leben.
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Spannung, Krise, Wandlung, Liebe, Mord, Krieg, alles da! Ein spannender Roman also, auch wenn mensch sich nicht weiter mit Karin Boye beschäftigt hat. Denn diese frühe Dystopie - im Jahr 1940, noch vor Orwells [b:1984|5470|1984|George Orwell|http://photo.goodreads.com/books/1328718447s/5470.jpg|153313] geschrieben - spiegelt offenbar Boyes Leiden im Leben: Sie beschreibt eine Welt der Einsamkeit. In dem wohlüberwachten, rationalen Staat, in dem jeder "Mitsoldat" den anderen überwacht und zum Mißtrauen angehalten ist, sehnen sich die Menschen doch eigentlich nach Kontakt, nach Liebe und Berührbarkeit. Boyes Gedicht "Das Beste" spricht die selbe Sprache. Gleichzeitig verarbeitet sie wohl die Enttäuschung über den totalitären Pseudo-Kommunismus in Russland, das sie als engagierte Linke besucht hatte und die Entwicklung in Deutschland. Ein zeitloses Buch also und dennoch - mit ein paar Infos über die Autorin, klar als ein Produkt ihres Lebens und ihrer Zeit zu erkennen.
Damit habe ich drei der vier klassischen Dystopie-Romane um die Kriegszeit gelesen. Ich finde es deutlich besser gealtert als Huxleys „Schöne neue Welt“. Die Wandlung ist hier auch noch etwas subtiler als bei Huxley und Orwell.\r\n\r\nPS: Was für eine krasse Person Boye war.
»Kallokain« erschien 1940 im schwedischen Original als letzter Roman der Autorin Karin Boye. Sie studierte 1920, als das noch sehr wenige Frauen taten, und wurde zu einer Größe der schwedischen Literatur im 20. Jahrhundert, bevor sie sich mit nur 40 Jahren das Leben nahm. Sie verarbeitete in diesem Werk die beiden totalitären Systeme der damaligen Zeit, mit denen sie in Berührung kam: die stalinistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland. Wir begleiten den Protagonisten Leo Kall, der rückblickend von seinem Leben in einem totalitären Staat erzählt, wo er als Chemiker tätig ist und eine Art Wahrheitsserum hervorbringt, das die Probanden dazu bringt, ihre tiefsten Gedanken und Gefühle zu äußern, die sie sonst für sich behalten würden. Der nicht genauer benannte »Weltstaat«, der in diesem Werk beschrieben wird, dringt vollständig in das Privatleben seiner Bürger ein und daher besteht äußerst großes Interesse daran, auch die letzte Hürde, die Gedankenwelt, noch zu nehmen. Die gleichförmigen, knapp bemessenen Wohnungen sind mit Bild- und Tonübertragung überwacht, bis hinein ins ehleliche Schlafzimmer, daher ist es so gut wie unmöglich, ein privates, ehrliches Gespräch zu führen. Dies wirkt sich natürlich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus, die quasi nicht existent sind. Intensivere Gefühle füreinander können kaum entstehen. Zwar werden noch Kinder gezeugt und dies ist auch vom Staat erwünscht, doch diese werden in externen Einrichtungen von Staatspersonal erzogen. Die Abwesenheit von Vertrauen führt dazu, dass man in jedem Menschen einen potentiellen Verräter sieht, selbst innerhalb der eigenen Familie. Diese Abkehr vom Individuum und Zusammenhalt in der Bevölkerung hin zur vollständigen Aufopferung für den Staat wird hier sehr drastisch und überspitzt aufgearbeitet, doch der Weltaufbau gefiel mir wirklich unheimlich gut. Weniger warm wurde ich mit der Hauptfigur. Man merkt ihm zwar aufgrund des Erzählens im Nachhinein eine gewisse Emotionalität an, aber es war für mich teilweise fast anstrengend, seinen Gedanken zu folgen, die sehr lang von seinem engstirnigen Weltbild bestimmt sind. Das er kein Sympathieträger ist, ist natürlich Dreh- und Angelpunkt des Buches, dennoch habe ich mich manchmal trotzdem an ihm gestört. Es hat einen gewissen Anspruch, liest sich aber schöner und spannender als so manch andere klassische Literatur und bringt es durch seine Kürze auf den Punkt. Da das Buch nicht erkennen lässt, zu welcher Zeit oder an welchem Ort es spielt, büst es nichts an Aktualität ein. Zwar bietet der Handlungsstrang keine riesigen Überraschungen, dennoch bin ich der Meinung, »Kallocain« ist ein Klassiker, den jeder gelesen haben sollte und der sich auch problemlos lesen lässt. Greift ruhig einmal dazu.
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Karin Boye (1900 bis 1941) war eine schwedische Schriftstellerin und Lyrikerin. Wie viele Intellektuelle der Zwischenkriegszeit kehrte sie enttäuscht und desillusioniert von einem Aufenthalt in der Sowjetunion zurück. "Kallocain" gilt als ihr Hauptwerk und wird in einem Atemzug mit Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" und George Orwells "1984" genannt. Peter Weiss setzte ihr im dritten Band seiner "Ästhetik des Widerstands" ein literarisches Denkmal, Nelly Sachs übersetzte eine Auswahl ihrer Gedichte. Karin Boye nahm sich 1941 in einem Wald bei Alingsås das Leben.
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Spannung, Krise, Wandlung, Liebe, Mord, Krieg, alles da! Ein spannender Roman also, auch wenn mensch sich nicht weiter mit Karin Boye beschäftigt hat. Denn diese frühe Dystopie - im Jahr 1940, noch vor Orwells [b:1984|5470|1984|George Orwell|http://photo.goodreads.com/books/1328718447s/5470.jpg|153313] geschrieben - spiegelt offenbar Boyes Leiden im Leben: Sie beschreibt eine Welt der Einsamkeit. In dem wohlüberwachten, rationalen Staat, in dem jeder "Mitsoldat" den anderen überwacht und zum Mißtrauen angehalten ist, sehnen sich die Menschen doch eigentlich nach Kontakt, nach Liebe und Berührbarkeit. Boyes Gedicht "Das Beste" spricht die selbe Sprache. Gleichzeitig verarbeitet sie wohl die Enttäuschung über den totalitären Pseudo-Kommunismus in Russland, das sie als engagierte Linke besucht hatte und die Entwicklung in Deutschland. Ein zeitloses Buch also und dennoch - mit ein paar Infos über die Autorin, klar als ein Produkt ihres Lebens und ihrer Zeit zu erkennen.
Damit habe ich drei der vier klassischen Dystopie-Romane um die Kriegszeit gelesen. Ich finde es deutlich besser gealtert als Huxleys „Schöne neue Welt“. Die Wandlung ist hier auch noch etwas subtiler als bei Huxley und Orwell.\r\n\r\nPS: Was für eine krasse Person Boye war.
»Kallokain« erschien 1940 im schwedischen Original als letzter Roman der Autorin Karin Boye. Sie studierte 1920, als das noch sehr wenige Frauen taten, und wurde zu einer Größe der schwedischen Literatur im 20. Jahrhundert, bevor sie sich mit nur 40 Jahren das Leben nahm. Sie verarbeitete in diesem Werk die beiden totalitären Systeme der damaligen Zeit, mit denen sie in Berührung kam: die stalinistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland. Wir begleiten den Protagonisten Leo Kall, der rückblickend von seinem Leben in einem totalitären Staat erzählt, wo er als Chemiker tätig ist und eine Art Wahrheitsserum hervorbringt, das die Probanden dazu bringt, ihre tiefsten Gedanken und Gefühle zu äußern, die sie sonst für sich behalten würden. Der nicht genauer benannte »Weltstaat«, der in diesem Werk beschrieben wird, dringt vollständig in das Privatleben seiner Bürger ein und daher besteht äußerst großes Interesse daran, auch die letzte Hürde, die Gedankenwelt, noch zu nehmen. Die gleichförmigen, knapp bemessenen Wohnungen sind mit Bild- und Tonübertragung überwacht, bis hinein ins ehleliche Schlafzimmer, daher ist es so gut wie unmöglich, ein privates, ehrliches Gespräch zu führen. Dies wirkt sich natürlich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus, die quasi nicht existent sind. Intensivere Gefühle füreinander können kaum entstehen. Zwar werden noch Kinder gezeugt und dies ist auch vom Staat erwünscht, doch diese werden in externen Einrichtungen von Staatspersonal erzogen. Die Abwesenheit von Vertrauen führt dazu, dass man in jedem Menschen einen potentiellen Verräter sieht, selbst innerhalb der eigenen Familie. Diese Abkehr vom Individuum und Zusammenhalt in der Bevölkerung hin zur vollständigen Aufopferung für den Staat wird hier sehr drastisch und überspitzt aufgearbeitet, doch der Weltaufbau gefiel mir wirklich unheimlich gut. Weniger warm wurde ich mit der Hauptfigur. Man merkt ihm zwar aufgrund des Erzählens im Nachhinein eine gewisse Emotionalität an, aber es war für mich teilweise fast anstrengend, seinen Gedanken zu folgen, die sehr lang von seinem engstirnigen Weltbild bestimmt sind. Das er kein Sympathieträger ist, ist natürlich Dreh- und Angelpunkt des Buches, dennoch habe ich mich manchmal trotzdem an ihm gestört. Es hat einen gewissen Anspruch, liest sich aber schöner und spannender als so manch andere klassische Literatur und bringt es durch seine Kürze auf den Punkt. Da das Buch nicht erkennen lässt, zu welcher Zeit oder an welchem Ort es spielt, büst es nichts an Aktualität ein. Zwar bietet der Handlungsstrang keine riesigen Überraschungen, dennoch bin ich der Meinung, »Kallocain« ist ein Klassiker, den jeder gelesen haben sollte und der sich auch problemlos lesen lässt. Greift ruhig einmal dazu.