Geschichte eines Kindes

Geschichte eines Kindes

Hardcover
3.610
HautOne-Drop RuleAbstammungRassentrennung

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Beschreibung

In einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Wisconsin bringt im Juli 1953 die zwanzigjährige Telefonistin Carol Truttmann ein Kind zur Welt. Noch in derselben Nacht gibt sie den Jungen zur Adoption frei. Daniel, so sein Name, bleibt in der Obhut eines Sozialdienstes. Bald sehen sich die betreuenden Kinderschwestern mit einem aus ihrer Sicht schwerwiegenden Verdacht konfrontiert: Das Baby scheint, anders als von der Mutter angegeben, nicht »weiß« zu sein, sondern, wie es in der Behördensprache der damaligen Zeit heißt, »indianisch«, »polnisch« oder »negrid« - ein Skandal in einer homogen weißen, den rigorosen Gesetzen der Rassentrennung unterworfenen Gesellschaft. Eine Sozialarbeiterin soll die wahre ethnische Herkunft des Kindes ermitteln. Dazu muss sie allerdings den Vater des Kindes ausfindig machen, dessen Identität die leibliche Mutter nicht preisgeben will …
In Anna Kims Geschichte eines Kindes geht es um die so wirkmächtige wie fatale Idee von »Rasse«, die bis heute nicht nur die Gesellschaft prägt, sondern auch den privaten Raum durchdringt, Familien entzweit, Karrieren verhindert, Lebenswege bestimmt. Klug und berührend erzählt dieser Roman, der auf einer wahren Begebenheit beruht, wie wir aufeinander schauen und was wir glauben, im anderen zu sehen.
Haupt-Genre
Romane
Sub-Genre
Zeitgenössische Romane
Format
Hardcover
Seitenzahl
220
Preis
23.70 €

Autorenbeschreibung

Anna Kim wurde 1977 in Südkorea geboren, zog 1979 mit ihrer Familie nach Deutschland und schließlich weiter nach Wien, wo die Autorin heute lebt. Im Suhrkamp Verlag erschienen zuletzt die Romane Geschichte eines Kindes (2022) und Die Allianz der 3 1/2 (2024). Für ihr erzählerisches und essayistisches Werk erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise, darunter den Literaturpreis der Europäischen Union.

Beiträge

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Alle
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Bietet einen neuen Blickwinkel auf das Thema Rassismus – mal intensiv und unmittelbar, mal aus der kalten Distanz der Bürokratie geschildert.

TW: Im Roman wird die Sprache der Zeit verwendet, inklusive heute als rassistisch erkannter Begriffe wie Mulatte oder Neger. Diese werden daher auch in meiner Rezension vorkommen. Ich möchte versichern, dass dahinter keine verletzende Absicht steckt, sondern nur der Wunsch, den Rassismus der 50er Jahre und die Verletzungen betroffener Menschen nicht zu verharmlosen oder zu verschweigen. Handlung: Im Jahr 1953 wird ein Neugeborenes zur Adoption freigegeben. Als Zweifel aufkommen, ob es vielleicht ein Mischlingskind ist, beginnt die Sozialarbeiterin Marlene eine obsessive Suche nach dem Vater, um den ‘rassischen Hintergrund’ des kleinen Daniel bestimmen zu können. In der Gegenwart setzt Ich-Erzählerin Franziska, eine österreichische Autorin mit südkoreanischer Mutter, die Puzzleteile von Daniels Geschichte zusammen, mit Hilfe seiner Ehefrau Joan. Er liegt nach einem schweren Schlaganfall im Krankenhaus und kann sie selber nicht mehr erzählen Hier eröffnet sich auch das Thema ‘Mutterschaft in einem rassistischen Kontext’, während durch eine dritte Perspektive später im Buch noch die ‘Rassenlehre’ in den Fokus rückt. Meine Meinung: Hier wird ein Kind begutachtet, als gebe es nichts Wichtigeres als die Frage, ob sich in der Form seiner Lippen und seiner Nase nun europide, negride oder indianide Merkmale zeigen. So oder so, betont Schwester Aurelia, seien sie nicht ‘normal’. Es ist eine bestürzende Juxtaposition von Aussagen und Begebenheiten, die verdeutlichen: Die Schwestern, die Ärzte, die Mitarbeiterinnen des Sozialdienst wollen das Beste für das ‘Mulattenkind’, gleichzeitig sprechen sie über den kleinen Daniel mit einer erschreckenden Mischung aus längst widerlegtem Irrglauben und Ansichten, die ihn seiner Menschlichkeit berauben. Da ist von ‘Auskreuzungen’ die Rede, von der bedauerlichen Tatsache, dass ‘Negerkinder’ nun mal weniger intelligent seien als weiße Kinder. Dabei wurde Daniel nach seiner Geburt untersucht und als hochintelligent eingestuft. Nur war seine Haut da noch heller und die Fragen nach seiner Herkunft noch nicht aufgekommen. Und welch Überraschung: Später wird er erneut getestet und prompt als deutlich weniger intelligent bewertet. Ein Bestätigungsfehler par excellence. Was nicht sein darf, kann auch nicht so sein. Auch ehrlich erscheinendes Wohlwollen entpuppt sich immer wieder als pervertiert. Da werden adoptionswillige Paare abgewiesen oder hingehalten, weil die Verantwortlichen es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, ein Kind unbestimmter Herkunft an ein gutes weißes Ehepaar zu vermitteln. Da fällt auch schon mal das Wort ‘Wirtsvolk’, und als leises Echo über die Jahrzehnte hinweg wispert es ‘Umvolkung’. Mein Gott. Als sprächen wir von Tieren, sogar von Schädlingen. Als Resultat verbringt Daniel, ein kleines Kind in einer prägenden Zeit seines Lebens, viele Monate in einer Einrichtung, der Liebe einer Familie unnötig beraubt. Und das durch Menschen, die ihm nicht einmal etwas Böses wollen. Deutlicher hätte die Autorin gar nicht zeigen können, dass auch wohlmeinende Ignoranz schädlich ist. Der nicht so wohlwollende Rassismus kommt jedoch kaum zur Sprache; durch die allgegenwärtige weiße Perspektive (Marlene, Joan, die Ärzte etc) wirkt er auf mich wie mit einem Weichfilter versehen. Das Echo der Annahme, die rassische Identität müsse auch die persönliche Identität bestimmen, erklingt auch in den Erlebnissen von Ich-Erzählerin Franziska, wo das Thema untrennbar verwoben ist mit der Mutter-Tochter-Beziehung. Mit ihr eröffnet sich eine nicht weniger wichtige Ebene der Geschichte, die neue Perspektiven ermöglicht und neue Aspekte in bereits angesprochene Themenkomplexe einbringt, wie zum Beispiel die direkten und indirekten Auswirkungen von Rassismus auf das Mutter-Kind-Verhältnis. Das ein oder andere Mal hatte ich den Eindruck, es gebe hier im Grunde genug Stoff für zwei oder drei Bücher. Verschiedene Themen rauben sich gegenseitig etwas die Luft, weil sie jeweils sehr viel Raum einnehmen. Das steigert sich noch gegen Ende, wenn Marlenes Lebensgeschichte völlig unerwartete dunkle Blüten treibt. Mal werden sie nur angerissen, mal so ausführlich beschrieben, dass Danny als Person fürs Erste in den Hintergrund rückt. Überhaupt: Er selber bleibt stumm, die in seinem Leben so prävalente Fremdbestimmung setzt sich fort. Es wird über ihn gesprochen, nicht mit ihm. Obwohl ich verstehen kann, warum es Sinn macht, dass Daniel selber nicht zu Wort kommt, fehlt mir seine Perspektive doch sehr. Anna Kim erzählt diese Geschichte mal in Franziskas leise poetischem Schreibstil, mal in nüchternen Aktennotizen – und es ist gerade deren perfide Sachlichkeit, die mich fertigmacht. Die Akten sind für moderne Leser:innen ein Absurdum. In den knappen Notizen wird quälend offensichtlich, wie normal zu der Zeit eine Sprache war, die wir heute als entwürdigend betrachten, als rassistische Entmenschlichung. Obwohl die Schwestern und auch die Ärzte eigentlich nur das Beste für Danny wollen, sind sie tief verwurzelt im Irrglauben ihrer Zeit, in der Idee einer anthropologischen Bestimmung des Menschen. Hier wird eher ein leiser, gewaltloser Rassismus beschrieben, ein geradezu freundlicher Rassismus. Aber eben doch Rassismus. So gut geschrieben, wie ich das Buch auch größtenteils finde, habe ich doch einen leisen Kritikpunkt: Da die Geschichte über weite Strecken in Gesprächsprotollen erzählt wird und daher in indirekter Rede, kommt es oft zu einer Häufung von “er/sie/es habe [Verb]”-Formulierungen, durch die der Sprachfluss ganz empfindlich ins Stocken gerät. Fazit Das Buch hat mich auf jeden Fall abgeholt, ich war voll und ganz gefesselt von der Geschichte. Diese bietet einen neuen Blickwinkel auf das Thema Rassismus – mal intensiv und unmittelbar geschildert, mal aus der kalten Distanz der Bürokratie gesehen. Über verschiedene Protagonistinnen kommt auch eine weibliche Sicht ins Spiel, die unter anderem das Thema ‘Mutterschaft in einem rassistischen Kontext’ in den Fokus stellt. Trotz meiner oben erwähnten Kritikpunkte ist “Geschichte eines Kindes” ganz ohne Zweifel ein fesselndes, ein wichtiges Buch, das die Nominierung für den Deutschen Buchpreis mehr als verdient hat.

Bietet einen neuen Blickwinkel auf das Thema Rassismus – mal intensiv und unmittelbar, mal aus der kalten Distanz der Bürokratie geschildert.
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