Das Philosophenschiff
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Beiträge
Erzählen ist wie eine Revolution machen. Die Revolution macht alles neu. Und wenn man erzählt, macht man das Leben, das man erzählen will, ebenfalls neu.
• Nee, war nicht meins...😅 ✨ Das Buch hat mich insgesamt nicht überzeugt, aber der Schreibstil war hervorragend, deshalb auch die 4⭐. Besonders am Anfang gab es viele kurze Sätze, manchmal mit nur zwei oder drei Wörtern. Das war etwas anstrengend zu lesen. Trotzdem war die biografische Erzählung spannend und hat mich mit der Zeit gefesselt. ✨ Ich war neugierig, wer die Erzählerin Anouk ist, und so habe ich mich in die Seiten und die Geschichte vertieft. Der Beginn war etwas holprig, aber gegen Ende wurde das Lesen flüssiger.

"Was ist die Wahrheit ... Die Wahrheit ist die Erinnerung an sie." Die 100-jährige Anouk lädt den Schrifsteller Michael zu sich in die Villa ein, um ihm ihre Geschichte zu erzählen. Biografien gibt es schon einige über die berühmte Architektin, aber diese Geschichte hat sie noch niemandem erzählt. Aber warum gerade ihm? "Aber vergessen sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt." Und Anouk hofft, daß man ihm nicht glaubt, diese, ihre Geschichte. Mit 14 Jahren wird sie zusammen mit ihren Eltern und noch zehn anderen Menschen auf ein Schiff und außer Landes gebracht. Weg von Russland, wo sie mit ihrer Lyrik, ihrer Kunst und ihrer Musik Unruhe stiften könnten. Auf diesem Philosophenschiff, von denen es noch weitere gibt, wie sie später erfährt, trifft sie Lenin und "freundet" sich mit diesem an. Aber stimmt das alles auch? "Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, nicht die richtige Wahrheit und weniger als ein bisschen Wahrheit." Das Buch konnte mich über weite Strecken wirklich fesseln. Hat mich zwischendurch aber immer wieder verloren wenn es um die damaligen politischen Zusammenhänge in den 1920-iger Jahren ging. Hier waren es mir auch zu viele Namen die ich nicht zuordnen konnte. Der Schreibstil hat mir ansonsten jedoch sehr gut gefallen. Die Philosophenschiffe hat es wirklich gegeben und sicherlich ist es spannend zu recherchieren, wer damals alles aus Russland ins Exil verschifft wurde. Viele andere wurden offenbar kurz vorher erschossen.
"Drei Tage Stille auf dem Wasser - da hat es mir gereicht. Ich wollte mich bewegen. Die Zukunft gewöhnt man sich als Erstes ab " "Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, nicht die richtige Wahrheit und weniger als ein bisschen Wahrheit." Die in St. Petersburg geborene Architektin Anouk Perlemann-Jacob bittet einen Schriftsteller ihre Geschichte als Roman aufzuschreiben, keine Biographie. Ihr Leben mit allem, was sie bisher nie gesagt hat, auch wenn vielleicht nicht alles wahr ist. Sie erzählt von der bolschewistischen Revolution und der folgenden Ausweisung von politisch unbequemen Intellektuellen ins Ausland, die als Akt der Menschlichkeit deklariert wurde. Unter dieser Gruppe war die damals 14jährige mit ihren Eltern. Man brachte sie, auf Lenins Befehl, angeblich vorsorglich auf den sogenannten "Philosophenschiffen" außer Landes, bevor sie Unruhe stiften können. Es hat eine Weile gedauert, bis ich in der Erzählung angekommen bin. Anfangs stehen die russische Geschichte und politischen Umstände um 1920 im Vordergrund, angenehm zu lesen waren dagegen die Passagen, in denen die 100jährige Anouk ihre Geschichte erzählt. Komplett fesseln konnte mich das Buch leider nicht.
Und dann teilte sie mir den wenig schmeichelhaften Grund mit, warum sie gerade mich "ausgesucht" habe. "Ich habe mich über Sie erkundigt. Sie haben einen guten Ruf als Schriftsteller, aber auch einen etwas windigen. Ich weiß, dass Sie Dinge erfinden und dann behaupten, sie seien wahr. Jeder wisse das, hat man mir gesagt, aber immer wieder gelinge es Ihnen, Ihre Leser hinters Licht zu führen. Deshalb glaube man Ihnen oftmals nicht, wenn Sie die Wahrheit schreiben, und glaube Ihnen, wenn Sie schummeln. Das habe ich mir sagen lassen. Stimmt das?" - Zitat, Seite 11 Ganz schön gerissen von Michael Köhlmeier, sich hier als höchst unzuverlässigen Schriftsteller einzuführen, wobei die 100jährige Erzählerin, die hauptsächlich von Ereignissen berichtet, die sie als Teenager erlebt hat, auch keine akkurate Quelle historischer Begebenheiten ist. Aber darauf kommt es bei diesem Roman auch nicht an, ob etwas nun Fiktion oder doch subjektiv erlebte Wahrheit ist. Denn manchmal sind historische Fakten so surreal, wenn wir sie heute betrachten und menschliche Schicksale werden unbeholfen in Zahlen gepresst, z.B., so und so viele wurden bei diesem Ereignis verletzt, erschossen oder sonstwie involviert. Und was fangen wir dann an mit diesen Zahlen und Statistiken der Geschichtsbücher? Die Philosophenschiffe hat es indes wirklich gegeben. Anfang der 1920er Jahre wurden unliebsame Individuen des Landes verwiesen und von Russlands Küste aus verschifft. Zu dieser humanen Aktion meinte Leo Trotzki lakonisch: "Wir haben diese Leute ausgewiesen, da es keinen Anlass gab, sie zu erschießen, aber sie noch länger zu ertragen, war unmöglich." Auf eines dieser Schiffe kommen auch die junge Anouk mit ihren Eltern. Die Passagiere bringen eine schreckliche Ungewissheit um ihr eigenes Schicksal mit an Bord. Wer wird als erstes sterben? Wer ist hier ein Opfer und wer vielleicht gar ein Spitzel? Zwischen Angst und Misstrauen nähern sich die Passagiere vorsichtig an. Doch dann bleibt das Schiff auf einmal stehen. Geht die Crew von Bord, oder wird ein weiterer Passagier aufgenommen? Schließlich wird die Fahrt fortgesetzt und die neugierige Anouk geht der Sache auf den Grund ... In einer Zeit, in der unmittelbar und grausam gestorben wird und die Protagonistin von Willkür und Depression umgeben ist, erscheint ihr Lebenswille fast wie eine exotische Pflanze. Und wenn man dann noch alt wird in diesem blutigen und unmenschlichen 20. Jahrhundert, dann haben die Augen schon viel gesehen und sind jetzt schon fast blind. Und selbst bei diesem letzten Blick auf die Erinnerungen nimmt sie dann manchmal Zuflucht zur schleiherhaften Lüge. Am Ende hat sie dem ausgesuchten Schriftsteller ihre Geschichte erzählt, die keinen biografischen Charakter haben sollte. Ob er sie so wiedergeben hat, wie gewünscht? Obwohl die Erzählungen der Protagonistin eine Sogwirkung haben und manch philosophisch angehauchter Gedanke es wert ist, beachtet und notiert zu werden, entsprechen sie einer Dame, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts geboren wurde, im Stil und im Ausdruck nicht immer. Michael Köhlmeier beschreibt einen sehr gewissenhaften Schriftsteller, der in den Ruhezeiten seiner 100jährigen Erzählerin eigene Recherchen in der Nationalbibliothek unternimmt, mit seinem kommunistischen Freund von früher telefoniert, oder über sein eigenes Bild der RAF Terroristen von damals sinniert (die für ihn wirkten wie Rockstars). Oder er streift durch Wien (wo Leo Trotzki auch zeitweise lebte). Mancher Abstecher in der Erzählung, wie die Erfahrungen der Protagonistin in den USA der 1960er Jahre, führt etwas vom Kern der Geschichte weg und stört den Lesefluss, aber insgesamt ist die Struktur des Romans anregend und lebendig. FAZIT Obwohl dieser Roman nicht besonders seitenstark ist, habe ich mir relativ viel Zeit für die Lektüre genommen. Eine Sitzung mit Frau Perleman-Jacob war dann auch für mich erst mal genug auf einmal. Ja, die Erzählerin entspricht nicht unbedingt der Erzählstimme einer Hundertjährigen, sie klingt manchmal einfach zu modern. Wobei, wie viele Hundertjährige kennt man schon. In meinem Fall einige wenige und eine 101jährige Dame ist noch ganz munter. Aber wie gesagt, dass die Stimme nicht ganz akkurat zum Alter passt, hat mich nicht gestört, schließlich war ich gewarnt, dass mir die Erzählung von einem windigen Schriftsteller präsentiert wird - von dem ich gerne noch mehr lesen möchte. Eine Leseempfehlung.
spannende (un)wahre Geschichte
Anouk Perlemann-Jakob ist eine exzentrische 100-jährige Architektin. Sie wählt sich den Schriftsteller und Ich-Erzähler gezielt aus, denn sie habe sich nach ihm erkundigt und wisse, das er Dinge erfinde und dann behaupte, sie seien wahr. Sie beginnt ihre Lebensgeschichte zu erzählen, hinterlässt dabei aber immer ein leises Gefühl der Ungewissheit, ob das Erzählte tatsächlich stimmt. Michael Köhlmeier schreibt seinen Roman als unzuverlässiger Erzähler, der in der Person der Anouk Perlemann- Jakob Fiktion mit einer wahren Begebenheit vermischt. Die sogenannten Philosophenschiffe gab es zu Zeiten der russischen Revolution tatsächlich, als Intelektuelle, Künstler, Schriftsteller und gutbürgerliche andersdenkende Russen deportiert wurden, um das bolschewsitische System nicht zu gefährden. 1922 gelang die damals 14jährige Anouk mit ihren Eltern auf ein solches Schiff und lag 5 Tage vor Finnland, bis ein geheimnisvoller Gast an Bord kommt: Lenin selbst. Mit Anouk Perlemann-Jakob ist Michael Köhlmeier ist überzeugender Charakter gelungen, der die ganze Geschichte zu tragen vermag. Der Roman war für mich ein wenig herausfordernd, da ich bisher nicht viel über den Bolschewismus wusste, was die Protagonistin mit ihrer spitzen und zum Teil humorvollen Art und wieder wettgemacht hat.
Nichts für mich
Für dieses Buch braucht man sehr umfangreiche Kenntnisse der russischen Geschichte. Diese habe ich leider nicht, was die Lektüre sehr schwer macht. Schnell kommt man mit den langen russischen Namen durcheinander, hinzu kommt die Tatsache, dass die Protagonistin kaum ganze Sätze macht und oft hin und herspringt. Sehr mühsam zu lesen, ich musste mich durchkämpfen.
Der Protagonist, der (zufällig?) den gleichen Vornamen wie der Autor trägt, wird von der Archtektin Anouk Perlemann-Jacob zu ihrem 100. Geburtstag eingeladen und von ihr gebeten, ihr Leben als Roman zu erzählen. Vorrangig geht es um ihr großes Erlebnis 1922, als sie - damals 14- jährig - mit ihren Eltern und anderen Intellektuellen auf Lenins Befehl ins Exil geschickt wird, auf einem der sogenannten "Philosophenschiffe". Was sie dort gemeinsam mit den anderen Menschen erlebt und welcher erstaunliche Passagier noch auf das Schiff geladen wird, davon handelt diese fiktive Geschichte, die aber einen konkreten historischen Hintergrund hat. Ich fand das Buch sowohl historisch sehr interessant als auch toll erzählt. Den halben Stern Abzug gibt es, weil mir die Rahmenhandlung etwas zu ausführlich war, ich hätte gerne stattdessen noch mehr über die Passagiere auf den Schiffen erfahren. Insgesamt aber ein tolles Buch und zu Recht auf der Longlist 2024
Köhlmeyersche Verbindung von Geschichte und Fiktion - ich mag das.
Interessant, wirft aber viele Fragen auf
Die Architektin Anouk Perleman-Jakob beschließt zu ihrem 100.. Geburtstag, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Daher lädt sie einen Schriftsteller, der bekannt dafür ist, Fiktion und Realität meisterhaft zu vermischen, zu sich ein, um ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Denn eines ist ihr wichtig: die Leser sollen sich fragen, was die Wahrheit ist und was Erfindung. Und so erzählt sie von einem 10-jährigen Mädchen, das gemeinsam mit den Eltern 1922 auf Befehl Lenins auf einem der so genannten Philosophenschiffe aus Russland deportiert wurde. Und schließlich einen ganz besonderen Passagier an Bord des Schiffes kennen lernt. Selten hat mich ein Buch so ratlos zurückgelassen wie dieses. Es ist gut zu lesen, stellenweise amüsant, gespickt mit Weisheiten, Anspielungen, philosophischen Gedanken. Und Köhlmeier macht neugierig, fordert den Leser auf, sich mit der russischen Geschichte, den Begebenheiten jener Zeit, auseinander zu setzen. Denn auch die Leser dieses Buches fragen sich ständig, was ist Realität, was Fiktion, welche Dinge hat die alte Erzählerin in ihren Erinnerungen evtl. erfunden, was der Schriftsteller? Dabei bleiben viele Fragen offen, viele Personen, die im Roman auftauchen, verschwinden ohne eine echte Rolle zu spielen. Das ist verwirrend und stellenweise unbefriedigend. Mein Fazit: ein interessanter aber etwas unfertig wirkender Roman. Durchaus lesenswert, vor allem für Geschichtsinteressierte.
„Ich habe das erfunden. Aber nicht, um Sie zu täuschen. Warum sollte ich das tun? Ich habe die Wahrheit ein bisschen von mir weg erfinden wollen. Können Sie das verstehen?“ Ach schade, die Geschichte eines Mädchens, das Lenin auf einem Schiff trifft, klang vielversprechend, war aber eher unspektakulär.
Beiträge
Erzählen ist wie eine Revolution machen. Die Revolution macht alles neu. Und wenn man erzählt, macht man das Leben, das man erzählen will, ebenfalls neu.
• Nee, war nicht meins...😅 ✨ Das Buch hat mich insgesamt nicht überzeugt, aber der Schreibstil war hervorragend, deshalb auch die 4⭐. Besonders am Anfang gab es viele kurze Sätze, manchmal mit nur zwei oder drei Wörtern. Das war etwas anstrengend zu lesen. Trotzdem war die biografische Erzählung spannend und hat mich mit der Zeit gefesselt. ✨ Ich war neugierig, wer die Erzählerin Anouk ist, und so habe ich mich in die Seiten und die Geschichte vertieft. Der Beginn war etwas holprig, aber gegen Ende wurde das Lesen flüssiger.

"Was ist die Wahrheit ... Die Wahrheit ist die Erinnerung an sie." Die 100-jährige Anouk lädt den Schrifsteller Michael zu sich in die Villa ein, um ihm ihre Geschichte zu erzählen. Biografien gibt es schon einige über die berühmte Architektin, aber diese Geschichte hat sie noch niemandem erzählt. Aber warum gerade ihm? "Aber vergessen sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt." Und Anouk hofft, daß man ihm nicht glaubt, diese, ihre Geschichte. Mit 14 Jahren wird sie zusammen mit ihren Eltern und noch zehn anderen Menschen auf ein Schiff und außer Landes gebracht. Weg von Russland, wo sie mit ihrer Lyrik, ihrer Kunst und ihrer Musik Unruhe stiften könnten. Auf diesem Philosophenschiff, von denen es noch weitere gibt, wie sie später erfährt, trifft sie Lenin und "freundet" sich mit diesem an. Aber stimmt das alles auch? "Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, nicht die richtige Wahrheit und weniger als ein bisschen Wahrheit." Das Buch konnte mich über weite Strecken wirklich fesseln. Hat mich zwischendurch aber immer wieder verloren wenn es um die damaligen politischen Zusammenhänge in den 1920-iger Jahren ging. Hier waren es mir auch zu viele Namen die ich nicht zuordnen konnte. Der Schreibstil hat mir ansonsten jedoch sehr gut gefallen. Die Philosophenschiffe hat es wirklich gegeben und sicherlich ist es spannend zu recherchieren, wer damals alles aus Russland ins Exil verschifft wurde. Viele andere wurden offenbar kurz vorher erschossen.
"Drei Tage Stille auf dem Wasser - da hat es mir gereicht. Ich wollte mich bewegen. Die Zukunft gewöhnt man sich als Erstes ab " "Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, nicht die richtige Wahrheit und weniger als ein bisschen Wahrheit." Die in St. Petersburg geborene Architektin Anouk Perlemann-Jacob bittet einen Schriftsteller ihre Geschichte als Roman aufzuschreiben, keine Biographie. Ihr Leben mit allem, was sie bisher nie gesagt hat, auch wenn vielleicht nicht alles wahr ist. Sie erzählt von der bolschewistischen Revolution und der folgenden Ausweisung von politisch unbequemen Intellektuellen ins Ausland, die als Akt der Menschlichkeit deklariert wurde. Unter dieser Gruppe war die damals 14jährige mit ihren Eltern. Man brachte sie, auf Lenins Befehl, angeblich vorsorglich auf den sogenannten "Philosophenschiffen" außer Landes, bevor sie Unruhe stiften können. Es hat eine Weile gedauert, bis ich in der Erzählung angekommen bin. Anfangs stehen die russische Geschichte und politischen Umstände um 1920 im Vordergrund, angenehm zu lesen waren dagegen die Passagen, in denen die 100jährige Anouk ihre Geschichte erzählt. Komplett fesseln konnte mich das Buch leider nicht.
Und dann teilte sie mir den wenig schmeichelhaften Grund mit, warum sie gerade mich "ausgesucht" habe. "Ich habe mich über Sie erkundigt. Sie haben einen guten Ruf als Schriftsteller, aber auch einen etwas windigen. Ich weiß, dass Sie Dinge erfinden und dann behaupten, sie seien wahr. Jeder wisse das, hat man mir gesagt, aber immer wieder gelinge es Ihnen, Ihre Leser hinters Licht zu führen. Deshalb glaube man Ihnen oftmals nicht, wenn Sie die Wahrheit schreiben, und glaube Ihnen, wenn Sie schummeln. Das habe ich mir sagen lassen. Stimmt das?" - Zitat, Seite 11 Ganz schön gerissen von Michael Köhlmeier, sich hier als höchst unzuverlässigen Schriftsteller einzuführen, wobei die 100jährige Erzählerin, die hauptsächlich von Ereignissen berichtet, die sie als Teenager erlebt hat, auch keine akkurate Quelle historischer Begebenheiten ist. Aber darauf kommt es bei diesem Roman auch nicht an, ob etwas nun Fiktion oder doch subjektiv erlebte Wahrheit ist. Denn manchmal sind historische Fakten so surreal, wenn wir sie heute betrachten und menschliche Schicksale werden unbeholfen in Zahlen gepresst, z.B., so und so viele wurden bei diesem Ereignis verletzt, erschossen oder sonstwie involviert. Und was fangen wir dann an mit diesen Zahlen und Statistiken der Geschichtsbücher? Die Philosophenschiffe hat es indes wirklich gegeben. Anfang der 1920er Jahre wurden unliebsame Individuen des Landes verwiesen und von Russlands Küste aus verschifft. Zu dieser humanen Aktion meinte Leo Trotzki lakonisch: "Wir haben diese Leute ausgewiesen, da es keinen Anlass gab, sie zu erschießen, aber sie noch länger zu ertragen, war unmöglich." Auf eines dieser Schiffe kommen auch die junge Anouk mit ihren Eltern. Die Passagiere bringen eine schreckliche Ungewissheit um ihr eigenes Schicksal mit an Bord. Wer wird als erstes sterben? Wer ist hier ein Opfer und wer vielleicht gar ein Spitzel? Zwischen Angst und Misstrauen nähern sich die Passagiere vorsichtig an. Doch dann bleibt das Schiff auf einmal stehen. Geht die Crew von Bord, oder wird ein weiterer Passagier aufgenommen? Schließlich wird die Fahrt fortgesetzt und die neugierige Anouk geht der Sache auf den Grund ... In einer Zeit, in der unmittelbar und grausam gestorben wird und die Protagonistin von Willkür und Depression umgeben ist, erscheint ihr Lebenswille fast wie eine exotische Pflanze. Und wenn man dann noch alt wird in diesem blutigen und unmenschlichen 20. Jahrhundert, dann haben die Augen schon viel gesehen und sind jetzt schon fast blind. Und selbst bei diesem letzten Blick auf die Erinnerungen nimmt sie dann manchmal Zuflucht zur schleiherhaften Lüge. Am Ende hat sie dem ausgesuchten Schriftsteller ihre Geschichte erzählt, die keinen biografischen Charakter haben sollte. Ob er sie so wiedergeben hat, wie gewünscht? Obwohl die Erzählungen der Protagonistin eine Sogwirkung haben und manch philosophisch angehauchter Gedanke es wert ist, beachtet und notiert zu werden, entsprechen sie einer Dame, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts geboren wurde, im Stil und im Ausdruck nicht immer. Michael Köhlmeier beschreibt einen sehr gewissenhaften Schriftsteller, der in den Ruhezeiten seiner 100jährigen Erzählerin eigene Recherchen in der Nationalbibliothek unternimmt, mit seinem kommunistischen Freund von früher telefoniert, oder über sein eigenes Bild der RAF Terroristen von damals sinniert (die für ihn wirkten wie Rockstars). Oder er streift durch Wien (wo Leo Trotzki auch zeitweise lebte). Mancher Abstecher in der Erzählung, wie die Erfahrungen der Protagonistin in den USA der 1960er Jahre, führt etwas vom Kern der Geschichte weg und stört den Lesefluss, aber insgesamt ist die Struktur des Romans anregend und lebendig. FAZIT Obwohl dieser Roman nicht besonders seitenstark ist, habe ich mir relativ viel Zeit für die Lektüre genommen. Eine Sitzung mit Frau Perleman-Jacob war dann auch für mich erst mal genug auf einmal. Ja, die Erzählerin entspricht nicht unbedingt der Erzählstimme einer Hundertjährigen, sie klingt manchmal einfach zu modern. Wobei, wie viele Hundertjährige kennt man schon. In meinem Fall einige wenige und eine 101jährige Dame ist noch ganz munter. Aber wie gesagt, dass die Stimme nicht ganz akkurat zum Alter passt, hat mich nicht gestört, schließlich war ich gewarnt, dass mir die Erzählung von einem windigen Schriftsteller präsentiert wird - von dem ich gerne noch mehr lesen möchte. Eine Leseempfehlung.
spannende (un)wahre Geschichte
Anouk Perlemann-Jakob ist eine exzentrische 100-jährige Architektin. Sie wählt sich den Schriftsteller und Ich-Erzähler gezielt aus, denn sie habe sich nach ihm erkundigt und wisse, das er Dinge erfinde und dann behaupte, sie seien wahr. Sie beginnt ihre Lebensgeschichte zu erzählen, hinterlässt dabei aber immer ein leises Gefühl der Ungewissheit, ob das Erzählte tatsächlich stimmt. Michael Köhlmeier schreibt seinen Roman als unzuverlässiger Erzähler, der in der Person der Anouk Perlemann- Jakob Fiktion mit einer wahren Begebenheit vermischt. Die sogenannten Philosophenschiffe gab es zu Zeiten der russischen Revolution tatsächlich, als Intelektuelle, Künstler, Schriftsteller und gutbürgerliche andersdenkende Russen deportiert wurden, um das bolschewsitische System nicht zu gefährden. 1922 gelang die damals 14jährige Anouk mit ihren Eltern auf ein solches Schiff und lag 5 Tage vor Finnland, bis ein geheimnisvoller Gast an Bord kommt: Lenin selbst. Mit Anouk Perlemann-Jakob ist Michael Köhlmeier ist überzeugender Charakter gelungen, der die ganze Geschichte zu tragen vermag. Der Roman war für mich ein wenig herausfordernd, da ich bisher nicht viel über den Bolschewismus wusste, was die Protagonistin mit ihrer spitzen und zum Teil humorvollen Art und wieder wettgemacht hat.
Nichts für mich
Für dieses Buch braucht man sehr umfangreiche Kenntnisse der russischen Geschichte. Diese habe ich leider nicht, was die Lektüre sehr schwer macht. Schnell kommt man mit den langen russischen Namen durcheinander, hinzu kommt die Tatsache, dass die Protagonistin kaum ganze Sätze macht und oft hin und herspringt. Sehr mühsam zu lesen, ich musste mich durchkämpfen.
Der Protagonist, der (zufällig?) den gleichen Vornamen wie der Autor trägt, wird von der Archtektin Anouk Perlemann-Jacob zu ihrem 100. Geburtstag eingeladen und von ihr gebeten, ihr Leben als Roman zu erzählen. Vorrangig geht es um ihr großes Erlebnis 1922, als sie - damals 14- jährig - mit ihren Eltern und anderen Intellektuellen auf Lenins Befehl ins Exil geschickt wird, auf einem der sogenannten "Philosophenschiffe". Was sie dort gemeinsam mit den anderen Menschen erlebt und welcher erstaunliche Passagier noch auf das Schiff geladen wird, davon handelt diese fiktive Geschichte, die aber einen konkreten historischen Hintergrund hat. Ich fand das Buch sowohl historisch sehr interessant als auch toll erzählt. Den halben Stern Abzug gibt es, weil mir die Rahmenhandlung etwas zu ausführlich war, ich hätte gerne stattdessen noch mehr über die Passagiere auf den Schiffen erfahren. Insgesamt aber ein tolles Buch und zu Recht auf der Longlist 2024
Köhlmeyersche Verbindung von Geschichte und Fiktion - ich mag das.
Interessant, wirft aber viele Fragen auf
Die Architektin Anouk Perleman-Jakob beschließt zu ihrem 100.. Geburtstag, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Daher lädt sie einen Schriftsteller, der bekannt dafür ist, Fiktion und Realität meisterhaft zu vermischen, zu sich ein, um ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Denn eines ist ihr wichtig: die Leser sollen sich fragen, was die Wahrheit ist und was Erfindung. Und so erzählt sie von einem 10-jährigen Mädchen, das gemeinsam mit den Eltern 1922 auf Befehl Lenins auf einem der so genannten Philosophenschiffe aus Russland deportiert wurde. Und schließlich einen ganz besonderen Passagier an Bord des Schiffes kennen lernt. Selten hat mich ein Buch so ratlos zurückgelassen wie dieses. Es ist gut zu lesen, stellenweise amüsant, gespickt mit Weisheiten, Anspielungen, philosophischen Gedanken. Und Köhlmeier macht neugierig, fordert den Leser auf, sich mit der russischen Geschichte, den Begebenheiten jener Zeit, auseinander zu setzen. Denn auch die Leser dieses Buches fragen sich ständig, was ist Realität, was Fiktion, welche Dinge hat die alte Erzählerin in ihren Erinnerungen evtl. erfunden, was der Schriftsteller? Dabei bleiben viele Fragen offen, viele Personen, die im Roman auftauchen, verschwinden ohne eine echte Rolle zu spielen. Das ist verwirrend und stellenweise unbefriedigend. Mein Fazit: ein interessanter aber etwas unfertig wirkender Roman. Durchaus lesenswert, vor allem für Geschichtsinteressierte.