Das Kind auf der Liste
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Beschreibung
Autorenbeschreibung
Dr. Annette Leo, 1948 in Düsseldorf geboren, studierte Geschichte und Romanistik an der Humboldt-Universität. Die Historikerin und Publizistin lebt in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: »Leben als Balance-Akt. Wolfgang Steinitz – Wissenschaftler, Jude, Kommunist« (2005), »›Das ist soʼn zweischneidiges Schwert hier unser KZ …‹ Der Fürstenberger Alltag und das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück« (2007). Bei Aufbau erschien zuletzt »Das Kind auf der Liste. Die Geschichte von Willy Blum und seiner Familie« (2018).
Beiträge
2018 hat die jüdische Historikerin Annette Leo (dessen Sohn Maxim Leo auch als Schrifsteller bekannt ist), dieses kurze, genaue, klare, nur selten wegen der notwendigen Zeitsprünge verwirrende historische Sachbuch über die Familie eines ermordeten Sintokindes namens Willy Blum geschrieben - dem Jungen, der auf der Liste der nach Auschwitz aus Buchenwald zu deportierenden (und dort dann zu vernichtenden) Kinder an die Stelle von dem jüdischen Kind Stefan Zweig gesetzt wurde. Dieses jüdische Kind ist weltberühmt geworden, nicht so sehr, weil es auch unter starken Einsatz seines Vaters gerettet werden konnte, sondern, weil es von der Liste gestrichen wurde, und zwar durch Mithilfe der deutschen kommunistischen heimlichen Lagerleitung im KL Buchenwald. Darüber schrieb Bruno Apitz den Roman [b:Nackt unter Wölfen|1739285|Nackt unter Wölfen|Bruno Apitz|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1187622517l/1739285._SY75_.jpg|1736879], der auch aufgrund starker DDR-Zensur propagandistisch und kitschig die Rettung des jüdischen Kindes durch kommunistische Häftlinge beschrieb und somit den "Buchenwald-Mythos" begründete, die Idee, dass kommunistischer Widerstand jüdischen Opfern geholfen hätte (um die es in der als "antifaschistisch" begründeten vor allem antikapitalistischen Deutungsmustern unterworfenen DDR-Geschichtsschreibung sowieso noch weniger als in der BRD-Geschichtsschreibung ging). "Nackt unter Wölfen" wurde verpflichtende Schullektüre in der DDR. Über diesen Buchenwaldmythos geht es in "Das Kind auf der Liste" nicht. (Man kann sich im ersten Drittel von [b:Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass|44155783|Umkämpfte Zone Mein Bruder, der Osten und der Hass|Ines Geipel|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1551308649l/44155783._SY75_.jpg|68673698] darüber informieren.) Es geht um das Sintokind Willy Blum, das in "Nackt unter Wölfen" nicht erwähnt wird (nicht mal in den Neuverfilmungen durch öffentlich-rechtliches Fernsehen oder den Dokumentationen dazu). Denn die geheime kommunistische Lagerleitung Buchenwalds konnte nicht mehr tun, als Gesinnungsgenossen und einige wenige mehr an Stelle anderer zu retten - dass am Ende Menschen vernichtet werden mussten, war in der nationalsozialistischen Logik klar, und die Lagerleitung war nicht ganz so geheim, da das "Teile-und-herrsche"-System der Nazis überhaupt erst das Beeinflussen der Deportationslisten durch die Gefangenen möglich gemacht hatte. Die Blumfamilie war eine Marionettentheaterfamilie, über die man interessantes im Buch erfährt: Neben eher unterhaltenden Stücken gehörten auch Hamlet und eine Faustvariante zu deren Programm, mit der sie durch Deutschland tourten (aber wegen der begrenzten Anzahl Puppen immer mit einem Kasperl dabei). Die Verfolgung der Sinti und Roma wurde vor, während und schrecklicherweise auch nach dem Nationalsozialismus durch die Kriminalkommissare der Polizeien organisiert: Vor dem Nationalsozialismus schon hatte die kriminalpsychologische These, den Roma und Sinti wäre ein Trieb zur Kriminalitität angeboren, viele überzeugt. Karteien wurden angelegt, die Leo durchforscht hat - ganze Familienzusammenhänge wurden dort festgehalten (eine anlasslose Überwachung, ein racial profiling, sozusagen), nicht immer richtig (In der Familienkartei waren auch Blums, die eventuell einer anderen Blumfamilie angehören, wie Leo herausfand). Während des Nationalsozialismus musste diese rassistische Idee nur aufgegriffen werden - weswegen nach den Jüd*innen die Roma und Sinti die zweite wirklich nur aufgrund rassistischer Motive verfolgte und dann im großen Maßstab genozidal vernichtete Opfergruppe waren. Und nach dem Nationalsozialismus lebte diese kriminalpsychologische These in einigen anthropologischen Seminaren und Kriminalkommissariaten fort - vor allem in München bis in die 70er Jahre, in denen aber immerhin die Abteilung zu einer für "Landstreicher" umbenannt wurde. Diese Kontinuität führte auch dazu, dass die Begutachter der Entschädigungsleistungen teilweise in genau diesen anthropologischen Seminaren oder Kommissariaten nachfragten (oder selbst schwierige Rollen in der nationalsozialistischen Zeit gespielt hatten). Absurde "Beweise" mussten auch von den Überlebenden der Familie Blum ausgefochten werden, damit körperliche Schädigungen ausreichend (nach Prozentzahlen!) auf die Vergangenheit zurückgeführt werden konnten. Am Ende gab es wenig Geld. Auch die gesellschaftliche Anerkennung des Leidens der Sinti und Roma war und ist gering. Seit 2012 gibt es erst ein Mahnmal in Berlin. Am 8.4. soll auf die aktuelle, oft benachteiligte Lage der Roma am Roma Day hingewiesen werden, am 2.8. auf die nationalsozialistische Vernichtung (Porajmos für "Verschlingen") der Roma und Sinti. Genauso berührend, wie dass das Mahnmal für die Sinti und Roma von einem israelischen Künstler (Karavan) erdacht wurde, ist die Stelle im Buch, in der Anette Leo, sich auf ein Zeitzeuginnengespräch mit einer Blumnachfahrin beziehend, dieser zu erkennen gibt, dass auch sie vernichtete Familienmitglieder zu beklagen hat. Am berührendsten ist aber der Grund, warum das Kind auf der Liste, Willy Blum, überhaupt auf die Liste kam (und zwar unabhängig von dem Austausch mit dem jüdischen Kind): Es wollte seinen Bruder nicht alleine in die Vernichtung fahren lassen. Da sie vorher schon in Auschwitz gewesen waren, wussten sie, was sie erwarten würde. Da aber der Bruder sonst alleine deportiert worden wäre, entschied sich Willy, sich zu opfern und so aber zumindest sich gegenseitig noch beizustehen.
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Autorenbeschreibung
Dr. Annette Leo, 1948 in Düsseldorf geboren, studierte Geschichte und Romanistik an der Humboldt-Universität. Die Historikerin und Publizistin lebt in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: »Leben als Balance-Akt. Wolfgang Steinitz – Wissenschaftler, Jude, Kommunist« (2005), »›Das ist soʼn zweischneidiges Schwert hier unser KZ …‹ Der Fürstenberger Alltag und das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück« (2007). Bei Aufbau erschien zuletzt »Das Kind auf der Liste. Die Geschichte von Willy Blum und seiner Familie« (2018).
Beiträge
2018 hat die jüdische Historikerin Annette Leo (dessen Sohn Maxim Leo auch als Schrifsteller bekannt ist), dieses kurze, genaue, klare, nur selten wegen der notwendigen Zeitsprünge verwirrende historische Sachbuch über die Familie eines ermordeten Sintokindes namens Willy Blum geschrieben - dem Jungen, der auf der Liste der nach Auschwitz aus Buchenwald zu deportierenden (und dort dann zu vernichtenden) Kinder an die Stelle von dem jüdischen Kind Stefan Zweig gesetzt wurde. Dieses jüdische Kind ist weltberühmt geworden, nicht so sehr, weil es auch unter starken Einsatz seines Vaters gerettet werden konnte, sondern, weil es von der Liste gestrichen wurde, und zwar durch Mithilfe der deutschen kommunistischen heimlichen Lagerleitung im KL Buchenwald. Darüber schrieb Bruno Apitz den Roman [b:Nackt unter Wölfen|1739285|Nackt unter Wölfen|Bruno Apitz|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1187622517l/1739285._SY75_.jpg|1736879], der auch aufgrund starker DDR-Zensur propagandistisch und kitschig die Rettung des jüdischen Kindes durch kommunistische Häftlinge beschrieb und somit den "Buchenwald-Mythos" begründete, die Idee, dass kommunistischer Widerstand jüdischen Opfern geholfen hätte (um die es in der als "antifaschistisch" begründeten vor allem antikapitalistischen Deutungsmustern unterworfenen DDR-Geschichtsschreibung sowieso noch weniger als in der BRD-Geschichtsschreibung ging). "Nackt unter Wölfen" wurde verpflichtende Schullektüre in der DDR. Über diesen Buchenwaldmythos geht es in "Das Kind auf der Liste" nicht. (Man kann sich im ersten Drittel von [b:Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass|44155783|Umkämpfte Zone Mein Bruder, der Osten und der Hass|Ines Geipel|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1551308649l/44155783._SY75_.jpg|68673698] darüber informieren.) Es geht um das Sintokind Willy Blum, das in "Nackt unter Wölfen" nicht erwähnt wird (nicht mal in den Neuverfilmungen durch öffentlich-rechtliches Fernsehen oder den Dokumentationen dazu). Denn die geheime kommunistische Lagerleitung Buchenwalds konnte nicht mehr tun, als Gesinnungsgenossen und einige wenige mehr an Stelle anderer zu retten - dass am Ende Menschen vernichtet werden mussten, war in der nationalsozialistischen Logik klar, und die Lagerleitung war nicht ganz so geheim, da das "Teile-und-herrsche"-System der Nazis überhaupt erst das Beeinflussen der Deportationslisten durch die Gefangenen möglich gemacht hatte. Die Blumfamilie war eine Marionettentheaterfamilie, über die man interessantes im Buch erfährt: Neben eher unterhaltenden Stücken gehörten auch Hamlet und eine Faustvariante zu deren Programm, mit der sie durch Deutschland tourten (aber wegen der begrenzten Anzahl Puppen immer mit einem Kasperl dabei). Die Verfolgung der Sinti und Roma wurde vor, während und schrecklicherweise auch nach dem Nationalsozialismus durch die Kriminalkommissare der Polizeien organisiert: Vor dem Nationalsozialismus schon hatte die kriminalpsychologische These, den Roma und Sinti wäre ein Trieb zur Kriminalitität angeboren, viele überzeugt. Karteien wurden angelegt, die Leo durchforscht hat - ganze Familienzusammenhänge wurden dort festgehalten (eine anlasslose Überwachung, ein racial profiling, sozusagen), nicht immer richtig (In der Familienkartei waren auch Blums, die eventuell einer anderen Blumfamilie angehören, wie Leo herausfand). Während des Nationalsozialismus musste diese rassistische Idee nur aufgegriffen werden - weswegen nach den Jüd*innen die Roma und Sinti die zweite wirklich nur aufgrund rassistischer Motive verfolgte und dann im großen Maßstab genozidal vernichtete Opfergruppe waren. Und nach dem Nationalsozialismus lebte diese kriminalpsychologische These in einigen anthropologischen Seminaren und Kriminalkommissariaten fort - vor allem in München bis in die 70er Jahre, in denen aber immerhin die Abteilung zu einer für "Landstreicher" umbenannt wurde. Diese Kontinuität führte auch dazu, dass die Begutachter der Entschädigungsleistungen teilweise in genau diesen anthropologischen Seminaren oder Kommissariaten nachfragten (oder selbst schwierige Rollen in der nationalsozialistischen Zeit gespielt hatten). Absurde "Beweise" mussten auch von den Überlebenden der Familie Blum ausgefochten werden, damit körperliche Schädigungen ausreichend (nach Prozentzahlen!) auf die Vergangenheit zurückgeführt werden konnten. Am Ende gab es wenig Geld. Auch die gesellschaftliche Anerkennung des Leidens der Sinti und Roma war und ist gering. Seit 2012 gibt es erst ein Mahnmal in Berlin. Am 8.4. soll auf die aktuelle, oft benachteiligte Lage der Roma am Roma Day hingewiesen werden, am 2.8. auf die nationalsozialistische Vernichtung (Porajmos für "Verschlingen") der Roma und Sinti. Genauso berührend, wie dass das Mahnmal für die Sinti und Roma von einem israelischen Künstler (Karavan) erdacht wurde, ist die Stelle im Buch, in der Anette Leo, sich auf ein Zeitzeuginnengespräch mit einer Blumnachfahrin beziehend, dieser zu erkennen gibt, dass auch sie vernichtete Familienmitglieder zu beklagen hat. Am berührendsten ist aber der Grund, warum das Kind auf der Liste, Willy Blum, überhaupt auf die Liste kam (und zwar unabhängig von dem Austausch mit dem jüdischen Kind): Es wollte seinen Bruder nicht alleine in die Vernichtung fahren lassen. Da sie vorher schon in Auschwitz gewesen waren, wussten sie, was sie erwarten würde. Da aber der Bruder sonst alleine deportiert worden wäre, entschied sich Willy, sich zu opfern und so aber zumindest sich gegenseitig noch beizustehen.