An das Wilde glauben

An das Wilde glauben

Taschenbuch
3.825

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Beschreibung

Auf einer Forschungsreise wird Nastassja Martin von einem Bären gebissen und schwer verletzt. In aufwühlenden Worten erzählt sie von der Geschichte dieses Kampfes und von ihrer Genesung.

Die Anthropologin Nastassja Martin teilt in dieser packenden autobiografischen Erzählung die Geschichte einer tiefen Verletzung und ihrer Heilung. Auf einer ihrer oft monatelangen Forschungsreisen auf die von Vulkanstümpfen durchzogene russische Halbinsel Kamtschatka, wo sie die Bräuche und Kosmologien der Ewenen studiert, taucht sie tief in deren Kultur ein und beginnt intensiv zu träumen. Nach einer Bergtour begegnet sie einem Bären: Es kommt zum Kampf, er beißt sie ins Gesicht und die 29-Jährige gerät in einen Zustand versehrter Identität. Was sie zuvor als Wissenschaftlerin beschrieben hat – die animistische Durchmischung von allem – erfährt sie nun am eigenen Leib. Die Grenzen zwischen dem Bären und ihrer selbst, oder dem, was früher sie selbst war, verschwimmen. Träume und Erinnerungen lassen Nastassja Martin umfassende Heilung in sich selbst und der Wildnis finden, in die sie nach einer qualvollen Genesungsgeschichte in russischen und französischen Krankenhäusern zurückkehrt.

Haupt-Genre
Romane
Sub-Genre
Weitere Themen
Format
Taschenbuch
Seitenzahl
139
Preis
10.30 €

Autorenbeschreibung

Nastassja Martin, 1986 in Grenoble geboren, ist Anthropologin und Schriftstellerin. Die Schülerin Philippe Descolas ist Spezialistin für die Kosmologien und Animismen der Völker Alaskas und veröffentlichte vor ihrem ersten Roman, der großes Aufsehen erregte, u. a. mit Les âmes sauvages, ein Buch über die Widerständigkeit der Inuit gegen die Zivilisation.

Beiträge

10
Alle
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Ein wahres Wunderwerk der Literatur 🤩🫶📚🐻🌳🌲🏕️

Nastassja Martins „An das Wilde glauben“ erschienen im Matthes & Seitz Verlag, ist ein Buch, das in Frankreich wirklich für Furore gesorgt hat. Nastassja Martin hat ein literarisch essayistisches Buch geschrieben, das von einem Dasein zwischen den Welten, zwischen den Kulturen, zwischen Körpern und Existenzen, handelt. Eigentlich schlägt es so eine Bresche in diese feste Grenze zwischen Natur und Kultur, die wir zu denken gelernt haben. In den Bergen von Kamtschatka greift ein Bär eine französische Anthropologin an, das, heißt es im Buch ist aber nicht das Ereignis, das Ereignis ist, dass ein Bär und eine Frau sich begegnen und die Grenzen zwischen den Welten quasi implodieren. Martin, selber Anthropologin, hält sich zur Feldforschung in Kamtschatka auf, bei den Even, einem der letzten indigenen Völker Sibiriens, und eines Tages bricht sie zu einer Expedition mit zwei Begleitern in das vulkanische Hochgebirge auf, es ist kein Spaziergang, alles ziemlich gefährlich und als sie schon auf dem Weg nach unten sind steht sie eben diesem Bären gegenüber. Sie wird angegriffen und entkommt aber, weil sie sich mit einem Eispickel verteidigt, schwer verletzt natürlich. Und dann geht für mich das los, was das Buch eigentlich erzählt, nämlich eine ziemlich groteske und schmerzhafte Heilungsgeschichte die gleichzeitig eine innere und äußere Verwandlung erzählt. Sie wird nach Pedro Pavlovs geflogen mit ihren schweren Kopfverletzungen und der Bär hat auch ins Bein gebissen, wird dann vom einem sehr skurrilen, Goldkettchen tragenden, Chirurgen behandelt, liegt ans Bett gefesselt, wird zwangsernährt . Dann wird sie von Pedro Pavlovs nach Paris überführt, da lässt man ihr die in Russland eingesetzte Kieferplatte, die sie haben muss, weil der halbe Kiefer weg ist, wieder entfernen, weil die Ostplatte schlechter ist, als die bessere Westplatte. Es gibt die Formulierung: „ Jedenfalls war die Folge, dass mein Kiefer sich langsam, aber unerbittlich zu einem Schauplatz eines medizinischen kalten Krieges zwischen Frankreich und Russland entwickelte“. Der Witz ist natürlich, dass diese bessere Westplatte mit einem Keim versehen ist und dann alles nochmal von vorne beginnt. Die ganze Zeit reflektiert sie über das, was mit ihr passiert und über diesen Transformationsprozess, beschreibt sie ihren Körper als Gebiet des kalten Krieges, also die Grenze zwischen Ost und West, die da verläuft. Andererseits wird dieser Körper, aber auch zum Gebiet des Dialogs zwischen westlichen Ärzt*innen und Chirurg*innen und diesem sibirischen Bären, denn der hat, so versteht sie das, sich leibhaftig in ihren Körper eingeschrieben. Also da ist etwas animistisches in diesen menschlichen Körper gedrungen und damit setzt sie sich auseinander und das versteht sie dann als ein hybrides „Ich“: ein hybrider Körper, eine hybride Identität, die sich da herausbildet. Im Grunde ist das so ein Versuch gegen diese einheitliche Identität, die wir uns immer vorstellen, anzudenken. Also auch gegen jede Art von Grenzziehung, von Kategorisierung könnte man sagen, anzudenken und darüber hinauszugehen. Und sie selber gibt eine Grenze, die sie in ihrem Schreiben hat, am Ende auf. Das ist für mich das, worauf das Buch hinausläuft. Sie hat immer ein Nachtheft, wo sie ihre Träume und poetischen Gedanken einträgt und sie hat Taghefte, wo sie ihre wissenschaftlichen Forschungen einträgt und sie gibt am Ende eins ihrer Hefte auf und führt sozusagen ihr Denken zusammen. Diesen ganzen Prozess des Nachdenkens über eine andere Vorstellung von Identität, finde ich sehr beeindruckend. Dieses Wunderwerk hat nur 138 Seiten und ist meiner Meinung nach absolute Weltliteratur. Ich habe mich selten so berührt gefühlt und so intellektuell bereichert, aber auch emotional, wie von diesem für mich total überraschenden Buch.

2

Kurze helle Momente mit viel Traumaverdrängung

Die Geschichte hat seine Momente, hat mich in der Summe aber nicht abgeholt. Zu Beginn sind ihre Empfindungen und Beobachtungen noch nachvollziehbar. Umso weiter die Geschichte von ihrem Bärenangriff voranschreitet, umso mehr hat sie mich verloren. Sie schildert den Bärenangriff als eine spirituelle Erfahrung und Vorsehung. Ich hatte irgendwann nur noch den Eindruck, dass sie mit diesem Trauma nicht umgehen kann und dem Ganzen irgendeine Art von Bedeutung geben möchte. Umso spirituelle, umso unzurechnungsfähig wird sie an vielen Stellen. Ab dem Frühling hat sie mich dann leider komplett verloren.

5

Die Autorin überlebt den Zusammenstoß mit einem Bären. In diesem Buch erzählt sie von ihren Erfahrungen danach und philosophiert über das Wilde und die Natur um uns herum.

3

Auf einer Forschungsreise wird die Anthropologin Nastassja Martin von einem Bären gebissen und schwer verletzt. In ihrer autobiografischen Erzählung beschreibt sie die Geschichte dieses Kampfes und ihre Genesung. Das ist definitiv ein besonderes, außergewöhnliches Buch, das mich nur teilweise abholen konnte. Die Odyssee zunächst im russischen und später im französischen Krankenhaus ist eindrucksvoll. Ihr Vergleich des kalten Krieges zwischen Russland und Frankreich anhand ihrer Kieferplatte, war großartig gezogen. Das letzte Drittel des Buches beschäftigt sich intensiv mit den animistischen und metaphysischen Glaubensansichten der Ewenen, auf der russischen Halbinsel Kamtschatka. Es geht häufig um Träume und deren Deutung. Frau Martin begibt sich auf Sinnsuche. Der Vorfall mit dem Bären hat für sie eine tiefere Bedeutung. Der Dualismus und dessen Überwindung ist zentrales Thema. Massentierhaltung nimmt sie als Beispiel für ein Symptom des dualistischen Denkens. Ich habe in vielen Rezensionen gelesen, dass sie es wunderbar schafft, nicht zu sehr ins metaphysische abzudriften und die Brille der Wissenschaftlerin aufbehält. Das sehe ich nicht so. Dieses zwanghafte sich alles erklären wollen zu müssen stört mich massiv. In ihrem Glauben an die große Verbundenheit mit Allem, ist es ihr egal, als es hieß: sie habe evtl. eine ansteckende Tuberkulose und redet sich ein: "nein ich bin gesund" und ihre Mutter bläst ins selbe Horn. Reist mit dem Zug durch die Weltgeschichte und trifft die Familie. Ich sehe es als Glück/Zufall an, dass die Tuberkulose eine Fehldiagnose war. Das letzte Drittel kann ich nur unter dem Aspekt der Aufklärung über Glaubenslehren anderer Kulturen anerkennen. Da hat sie mich auch komplett verloren. Die Message die sie mitgeben will, bzw. das Grundproblem das überwunden werden muss, teile ich, aber nicht den Weg und die Argumentation dorthin.

4

"....es ist eine Geburt, da es offensichtlich kein Tod ist." So beschreibt die Autorin ihren Zusammenstoß mit einem Bären von dem sie nur stichwortartig berichtet. Es ist ein autobiographischen Bericht aus ihrer Zeit bei dem Volk der Ewan, die ihr auch die mystischen, naturverbundenen Gepflogenheiten näher bringen. Träume deuten um das Geschehen zu verarbeiten. "Du bist das Geschenk, das die Bären uns gemacht haben, in dem sie dich am Leben gelassen haben. " Ein beeindruckendes Buch!

4

„[…] Wassilina, wenn groß werden bedeutet, seine Träume sterben zu sehen, dann ist groß werden wie sterben. Es ist besser, die Erwachsenen zu ignorieren, wenn sie uns glauben machen wollen, dass die Kästchen schon da sind und nur noch ausgefüllt werden müssen.“ (Seite 89) Um „An das Wilde glauben“ von Nastassja Martin, in der Übersetzung aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer, zu lesen, sollte Mensch sich in seinen Gedanken keine Grenzen lassen; sondern sich öffnen für die Möglichkeit „unnatürliche“ Gedanken der „zivilisierten Welt“ zu denken. „An das Wilde glauben“ ist eine persönliche Reise der Autorin und die Beschreibung, wie sie einen Bärenangriff überlebte oder besser, wie ein Bärenangriff zu einer Neugeburt führte. „Ich sage: Es gibt etwas Unsichtbares, das unsere Leben auf das Unerwartete zutreibt.“ (Seite 113) Der Stil des Buches ist manchmal etwas fordernd, weil die Grenzen zwischen der aktuellen Welt und der Retrospektive verschwimmen, wie die Grenzen zwischen den Welten. Die Bilder die durch die Sprache erzeugt werden nahmen mich trotzdem mit auf eine intensive Reise der Reflexion und der Überlegungen, wie wir auf die Natur wirken und wie die Natur und das „Weltbewusstsein“ in uns wirkt. Wer sich in ihren:seinen Gedanken öffnen kann, die:der kann eine spannende Reise mit Nastassja Martin erleben.

5

Für mich ein Highlight. Dieses Buch hat mich gefordert, überrascht, nachdenklich gemacht und mich fasziniert. Nastassja Martin , eine Anthropologin, wird in Kamtschatka von einer Bärin angegriffen. Das Ereignis an sich, ist aber gar nicht so wichtig. Vielmehr geht es hier um Grenzen zwischen Natur und Mensch, zwischen Kulturen und Nationalitäten. Martin schildert diesen Angriff der Bärin sehr sachlich. Sie versucht, damit umzugehen, zu analysieren, zu verstehen und in sich hineinzuhorchen. Sie hat das Gefühl, das diese Bärin nun ein Teil von ihr ist, sich in ihre Seele „ gefressen“ hat. Sie kehrt zurück in den Wald, in die Natur, da sie nach vielen Operationen in der westlichen Kultur, der modernen Welt versucht, frei in der Abgeschiedenheit, in der Natur, zu heilen. Mich hat das Buch, trotz dieser wenigen Seiten sehr fasziniert. Für mich ein wirkliches Highlight, welches ich bestimmt nochmal lesen werde.

3

Update 2024-05-31 Nach Lektüre von [b:Tod in den Augen: Figuren des Anderen im griechischen Altertum: Artemis und Gorgo|105031634|Tod in den Augen Figuren des Anderen im griechischen Altertum Artemis und Gorgo|Jean-Pierre Vernant|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1679178502l/105031634._SY75_.jpg|128253124] von Jean-Pierre Vernant, auf den Martin Bezug nimmt, ergibt sich ein neues Bild. Martin bespielt nicht das Dionysische. Dies wäre nämlich lebensbejahend, transformtiv. Ein orgastischer Wahn, der dynamisch wirkt. Sie verhält sich zwar Wahnhaft, allerdings in einer destruktiven Weise, voller Schmerz und Angst. Vielmehr bespielt das Buch den Blick in die Maske der Gorgo und die daraus folgende Starre. Was ich im folgenden, zugegeben sehr umständlich versuche zu erklären, ist aber nichts anderes, als dieser Starre Ausdruck zu verleihen. Artemis als Geleit durch die Dunkelheit hat Martin in ihrem Buch nicht gefunden. Den Verstand auch nicht und somit stürzt sich das Buch ins Ungewisse, ungewiss wo das Licht her kommt oder ob es jemals erscheint. Dafür müsste man sich ja selber bewegen um den Schalter dahinter zu finden. Update 2024-05 Die Zweitlektüre: Das Buch stellt eine komplexe und widersprüchliche Postion der Protagonistin dar, die zwischen Schicksal und Freiheit, zwischen symbolischer Ordnung und radikaler Alteriät oszilliert. Ein Kriegerischer Geist, der die symbolische Ordnung der Gesellschaft nicht akzeptiert, dagegen ankämpft, sich ihr entzieht und in der Begegnung mit einem Bären, Kairos, den günstigen Moment einer Entscheidung des Handelns sieht, ein Moment, der ihre Existenz grundlegend gestaltet, schreibt hilflos um sich schlagend einer Möglichkeit der Heilung entgegen. Eine Heilung die nicht versöhnen, sondern überwinden soll. “Uns selbst zu befreien – nicht etwa von der Existenz der Vergangenheit, sondern von ihrem Band, das ist die seltsame und dürftige Aufgabe. Das Band dessen zu lösen, was vergangen ist, was geschehen ist, was geschieht, das ist die einfache Aufgabe.“ Das Buch verarbeitet die inneren Konflikte, Ablehnung gesellschaftlicher Normen und Ordnungssysteme, die Unmöglichkeit Frieden zu finden, die auf die Konfrontation mit dem Bären, die Natur übertragen werden. Das Tier wird zum Opfer der inneren Unruhe und Hilflosigkeit des Menschen. „ die Ruhe ist nicht meine Stärke. Ich sage mir, dass ich auf der Hochebene wohl uneingestanden auf der Suche war nach demjenigen, der endlich die Kriegerin in mir offenbaren würde; dass dies sicher der Grund ist, warum ich, als er mir den Weg abgeschnitten hat, nicht vor ihm geflohen bin. Ich habe mich im Gegenteil in den Kampf gestürzt wie eine Furie und wir haben unsere Körper jeweils mit dem Mal des anderen gezeichnet.“ Das Wilde, die Natur, der Wald bedeuten - an sich - für sie Rückzug. Hier geht sie in die Introspektion. Eine Umwelt frei von dem feindlichen Ordnungssystem. Auch ist dieser Ort das Andere – Fremde – das von ihr bekämpft wird. Der Rückzugsort dient als Projektionsfläche für Krieg. Frieden ist für sie eine Unmöglichkeit. Dennoch verarbeitet sie dies sprachlich zunächst als schicksalhafte Begegnung, was dem Kairosgedanken entgegen läuft. Ihre Handlungen und Gedanken legen nahe, dass aus diesem Widerspruch, die Weigerungshaltung Verantwortung übernehmen zu wollen spricht. Die Konfrontation mit dem Realen, kommt durch die radikale Weigerung eine symbolische Ordnung zu akzeptieren oder selbst zu implementieren nicht zu Stande. Sie wischt Bedeutungzuschreibungen, den Bedeutungsüberschuss, mit dem wir alle konfrontiert sind, wie ein wütendes Kind vom Tisch. Damit nimmt sie sich ihre Freiheit der eigenen Ordnung. Ohne dieses eigene System kann sie keine Reflexion anstellen. Daher bekommt der Text eine heftig passiv-agressive Schlagseite, die in die mythologische Flucht, die reinste Verschleierungstaktik darstellt. Dies verdeutlicht sie in einer Unterhaltung. Sie möchte die Dunkelheit. Aufbrechen sämtlicher Strukturen. Ab ins Unbekannte mit Nichts. Auf der Welle des Todestriebes ohne Verstand surfen. „Bei mir ist das Licht nicht ausgegangen und die Geister sind geflohen. Ich sehne mich so sehr danach, das Licht zu löschen. Heute Nacht kehre auch ich in den Wald zurück…. In der Tiefe der eisigen Wälder »findet« man keine Antworten. Man lernt zuerst, seinen Verstand anzuhalten und sich vom Rhythmus erfassen zu lassen“ Sie will Ursuppe, das Geworfen sein in einem vorsichhinwabernden Bedeutungs- und Weltenverschiebungsschlamm, in dem sie kämpfen kann, Krieg führen, ohne Ziel, ohne Eros. Immer nur im Verzug. Aber immerhin Mensch und Bär sind verbunden. „Wie in den Zeiten des Mythos herrscht die Ununterschiedenheit, ich bin diese undeutliche Form, deren Züge in den offenen Breschen des mit Blut und Sekreten verschmierten Gesichts verschwunden sind – es ist eine Geburt, da es ganz offensichtlich kein Tod ist.“ „Gefühl, die Welt hinter mir zu lassen; eine Version der Welt; meine Welt. In die ich nicht mehr hineinpasse; in der ich daran scheitere, mich selbst zu verstehen.“ Der Gedanke, die Dualität aufzulösen, das Mensch und Tier eine Verbindung eingehen stellt in diesem Text keine ernsthafte prozesshafte dynamische Bearbeitung dar. Sie verkennt die Notwendigkeit sich den symbolischen Strukturen zu stellen, die mit dem Unbewussten verflochten sind. Ein Zustand der Stasis tritt an diese Stelle. Sie entscheidet sich für den Weg über die Alterität, diesen Konflikt auszutragen und zitiert Jean-Pierre Vernant. „Die Medusa zu sehen bedeutet für Vernant aufzuhören, man selbst zu sein, in ein Jenseits versetzt zu werden, zum Anderen zu werden. Den Menschen zu sehen, der den Bären sieht, oder den Bären, der den Menschen sieht, versinnbildlicht für Wassja die Reversibilität; es steht für ein Zusammentreffen, in dem die an sich radikale Alterität tatsächlich die größtmögliche Nähe ist; für einen Raum, in dem der eine zum Spiegelbild seines Doubles in der anderen Welt wird.“ Die Begegnung, an sich, als transformative Kraft. Damit darf die Symbolische Ordnung in den Schlaf des Vergessens entschwinden. Ein weiteres Gespräch verdeutlich die Problematik dieses Gedankens. Es geht um eine Coexistenz ohne dass diese verständlich und greifbar ist. Alles entzieht sich dem Verstehen. Die Sprache ist performativ aber immer schicksalhaft. Und Schicksal will sie am Ende nun doch nicht mehr. „Doch erst einmal muss ich einen radikalen Schnitt setzen: Ich breche auf in Richtung Berge, ich will Luft, freie Sicht, Kälte, Eis, Stille, Leere und Kontingenz, bloß kein Schicksal mehr und erst recht keine Zeichen.“ „Ich sage nichts, ich bin bewegt. Das ist meine Befreiung. Die Ungewissheit: ein Versprechen von Leben.“ Dumm nur, dass sie den Konflikt zwischen symbolischer Ordnung und Alterität nicht auflöst, angeht und keine Integration vornimmt. Sie bleibt am Ende als Leere reflektionslose Mensch-Bär Hülle zurück. Sprachlich Stellenweise sehr sinnlich, einnehmend. Schöne Bilder. Mich überzeugt die Gesamtkomposition nicht. Bin eigentlich ehr bei 2,5 Sternen. Belasse es bei 3, da mich die grundlegende Auseinandersetzung und der innere Konflikt sehr interessiert hat und ich etwas über Alterität gelernt habe.

2.5

Direkt aussortiert

Das Buch war eine Empfehlung meiner Buchhändlerin, die mich dieses Mal jedoch nicht überzeugte. Zu esoterisch, metaphysisch und gewollt deep. Dazu fand ich keinen Zugang. Die Zeit in französischen Krankenhäusern wurde zudem eine Tortur mit zum Teils fragwürdiger Einstellung. Mit ein paar poetischen Momenten konnte mich die Schreibe aber einfangen, sodass ich die Geschichte zumindest beendete.

3

Es hat etwas Spezielles, Empfehlungen in einer Buchhandlung zu erhalten, wenn mensch selbst in diesem Beruf tätig ist. Ich suche dieses Erlebnis immer wieder aktiv und die Lektüre dieses Werkes habe ich einer solchen Begegnung zu verdanken. Ansonsten wäre ich nie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu lesen. Martin erzählt in diesem autobiographischen Text von ihrer Begegnung mit dem Bären. Von seinen Zähnen in ihrem Kopf. Von ihrer Heilung. Von der Zivilisation und der Wildnis, in welche es sie dennoch wieder zurückzieht. Es ist eine Verarbeitung, eine Entdeckung des Ichs. Dabei eine Betrachtung des Homo Sapiens in der heutigen Welt. In der Ruhe der Wälder trifft Martin auf den Bären. In der hektischen Stadt soll sie genesen, wird sie zusammengeflickt. Geheilt wird sie bei den Nomaden. Jenen Völkern, mit denen zu leben sie ausgezogen ist. Die Autorin greift ein Thema auf, das hierzulande für heisse Gemüter sorgt. Der Bär hat hier keinen Platz, reisst Schafe und fährt zu Zug. Nastassja Martin hat mit einem Bären gekämpft und erkennt, dass sie beide nun eins sind. Dass ihre Lebenswege sich treffen mussten. Die Frau ist Bär, der Bär ist Frau. Tiefsinnig, anspruchsvoll, auf den Punkt gebracht. So lässt sich das Schreiben Martins zusammenfassen. Einige Worte musste ich nachschlagen, merkt man doch die Bildung, die die Autorin genossen hat. Natürlich ist es ruhiger, besonnener Text. Nicht immer einfach zu lesen, aber mit vielen Anregungen versehen, die Möglichkeiten zum Perspektivwechsel bieten.

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